1808

1808, Januar 23: Rechtliches Ende der Judendiskriminierung im Vest Recklinghausen durch Edikt des Herzogs Prosper Ludwig von Arenberg über die Einführung des Code Napoléon in den Territorien des Herzogtums Arenberg

Quelle: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen, Bestand Herzoglich Arenbergisches Archiv, I A Nr. 59: Sammlung herzoglich Arenbergischer Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für Meppen, Recklinghausen und Dülmen vom Jahre 1802 – 1810, Bl. 94-97, Verfasser: Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen.

Der Code Napoléon (eigentlich: code civil des francais), das am 27. März 1804 in Paris verkündete Zivilgesetzbuch des Kaiserreiches Frankreich, galt im Europa des 19. Jahrhundert als vorbildlich-modernes, ja überragendes Gesetzeswerk moderner Staatlichkeit. Dieses sah vor, Standesprivilegien, rechtliche Benachteiligungen und feudale Abhängigkeiten wie etwa die Leibeigenschaft oder Erbuntertänigkeit durch Schaffung eines einheitlichen Bürgerlichen Rechts einzuebnen, welches unterschiedslos für alle Staatsangehörigen gelten sollte. Mit Einführung des Code Napoléon auch im Herzogtum Arenberg (enthält: 2281 Artikel, gegliedert nach den Materien: Personenrecht, Ehe und Vormundschaftsrecht, Sachenrecht, Eigentum, beschränkte dingliche Rechte, Eigentumserwerb, Erbschaften und Testamente, Schuldrecht) wurde eine entscheidende rechtsgeschichtliche Entwicklung vollzogen, durch welche das 1663 kodifizierte kurkölnische Landrecht nebst älteren kurkölnischen Edikten, Statuten, Verordnungen, Sonderregelungen und überkommenen Gewohnheitsrechten außer Kraft gesetzt wurde.

Dadurch fielen auch manche alten Bestimmungen religionspolitischen bzw. diskriminierenden Inhaltes weg, durch welche Minderheiten wie Juden oder Protestanten im Vest Recklinghausen nicht geduldet waren. Bürgerliche Rechtsgleichheit, uneingeschränkte Rechtsteilhabe sowie die vertrags- und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit aller (männlichen) Staatsbürger waren die neuen Leitgedanken des aus den revolutionären Errungenschaften von 1789 erwachsenen Rechts- und Gesellschaftsbildes. Diese Innovationen des französischen Zivilrechts, die nun auch für alle Untertanen zwischen Emscher und Lippe gelten sollten, betrafen auch die formale Außerkraftsetzung der immer noch in Geltung stehenden kurkölnischen Judenordnung von 1700 (in älteren Fassungen bereits 1592, 1599 und – auch für das Vest Recklinghausen – 1614 erlassen, in Teilen noch bis 1787 ergänzt und erneuert). Diese unterwarf die Ansiedlung sowie Handel und Wandel von Juden in den kurfürstlichen Territorien strengen Auflagen und Restriktionen und untersagte jüdisches Leben im Vest Recklinghausen, das seit Ende 1802 unter Arenbergischer Herrschaft stand, praktisch gänzlich.

Artikel 11 des Arenbergischen Ediktes, mit welchem Einführung und Inkraftsetzung des Code Napoléon für den 1. Juli 1808 angekündigt (und später auf Februar 1809 verlegt) wurde, brachte diesen egalitären Ansatz unmissverständlich zum Ausdruck: Demnach sollte es im bürgerlichen Rechtsverkehr keinen Unterschied mehr zwischen Angehörigen verschiedener Religionen und Konfessionen geben. Hinzutrat eine herzogliche Einzelverordnung von September 1808, die auswärtigen Juden an den Grenzen der Arenbergischen Territorien keinen sog. Leibzoll mehr abverlangten und damit ein altes Handelshindernis abschafften.

Das Herzogtum Arenberg-Recklinghausen war eins der ersten deutschen Territorien, in denen das Französische Recht eingeführt wurde. Im vorliegenden Gesetzestext ist zwar nirgendwo ausdrücklich von den Juden und der Konsequenz ihrer rechtlichen Emanzipation die Rede, aber eine auf Dauer angelegte Niederlassung von Juden zwischen Emscher und Lippe, die seit Beginn des 17. Jahrhunderts erstmals keine pauschale Unterdrückung oder von Staats wegen angeordnete Ausweisung bzw. Vertreibung mehr zu befürchten hatten, konnte auf dieser Grundlage ab 1808/09 beginnen. Bemerkenswert auch, dass in dem Edikt das Recht auf freie Ausübung der Religion gewährt wird.

Das französische Zivilgesetzbuch, das in einer 1807 in Koblenz erschienenen deutschen Übersetzung bei der Rechtsprechung in Dorsten und Recklinghausen zur Anwendung kommen sollte, galt in der hiesigen Region zwar nur bis 1814/15. Doch konnte auch der verwaltungsrechtliche Übertritt des Vestes Recklinghausen in die neu geschaffene preußische Provinz Westfalen (1815) und die Einführung des Allgemeinen Preußischen Landrechts die einmal begonnene Entwicklung der Judenemanzipation nicht mehr umkehren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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