1928

10. Juni 1928: Einweihung des Lohtor-Mahnmals zu Ehren der aus Recklinghausen stammenden Gefallenen des Großen Krieges 1914–1918

Quelle: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen, Bestand III, Nr. 990: Einweihung des Ehrenmals, Verfasser: Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen.

Die Kriegsniederlage vom November 1918, die bei den meisten Deutschen als Schock, Trauma und Schande empfunden wird, verursacht Ratlosigkeit über das künftige Totengedenken. Der verlorene Krieg, das Ende des Kaisertums, der als zutiefst ungerecht empfundene Friedensvertrag, die ungeheure Zahl der Gefallenen, die wirtschaftliche Not und die innenpolitischen Wirren werfen die Frage auf, welchen Sinn das millionenfache Sterben überhaupt hatte. So vergehen mehrere Jahre, bevor man sich in Deutschland Gedanken über öffentliche Formen von Trauer und Gedenken macht. Aber anders als in Paris wird in Berlin niemals ein nationales Denkmal für die gefallenen Soldaten des Weltkrieges errichtet.

Am 28. Februar 1926 wird in ganz Deutschland zum ersten Mal ein „Volkstrauertag“ begangen. Im Einvernehmen mit den katholischen und evangelischen Bischöfen wählt die Reichsregierung einen politisch „neutralen“ Feiertag des Kirchenjahrs aus, nämlich den Sonntag „Reminiscere“ in der Fastenzeit. Der traumatische Tag des 11. November, d.h. des Waffenstillstandes von 1918, spielt in Deutschland keine Rolle bei der Erinnerung an den Großen Krieg. Auch in Recklinghausen legen Vertreter der Stadt auf dem katholischen, dem evangelischen und dem jüdischen Friedhof Kränze nieder, auch wenn sich dort nur wenige Soldatengräber befinden.

Im Herbst 1926 wird in Recklinghausen das Projekt einer zentralen städtischen Gedenkstätte wiederbelebt. Die Stadtverwaltung wählt einen neuen Standort aus: An der Südseite des sog. Lohtor-Friedhofes soll ein Areal geschaffen werden, das ein schlichtes Ehrenmal und eine große Versammlungsfläche aufweist. Anstelle einer monumentalen Kriegerskulptur sollen an einer schlichten Mauer auf Bronzeplatten die Namen sämtlicher Kriegstoten aus Recklinghausen verzeichnet werden. Ausreichend große Quadersteine findet man in Resten der abgetragenen mittelalterlichen Stadtbefestigung. Von Herbst 1926 bis Frühjahr 1927 drucken die Zeitungen alphabetische Listen der Gefallenen ab. Auch veröffentlichen sie mehrere Aufrufe an die Stadtbevölkerung, die Namen ihrer toten Angehörigen bei der Stadtverwaltung zu melden, wo man immer noch keinen vollständigen Überblick über die Gesamtheit der Kriegssterbefälle hat. Die Resonanz ist jedoch gering; weiterhin herrscht Unklarheit über die endgültige Zahl der Kriegstoten und das Schicksal von vermissten Soldaten. 1927 beginnen die Bauarbeiten, die Bevölkerung spendet Geld dafür, auch der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ steuert dazu bei.

Knapp zehn Jahre nach Ende des Großen Krieges – und sieben Jahre, nachdem die Jüdische Gemeinde Recklinghausen ihren Gefallenen auf dem Friedhof am Nordcharweg bereits ein eigenes Denkmal gesetzt hatte, ist es so weit: Am Sonntag, dem 10. Juni 1928, wird das Denkmal am Lohtor feierlich eingeweiht. Auf acht Bronzetafeln stehen dort die Namen von 2.279 Soldaten aus Recklinghausen, Unterschiede zwischen Religionen und Konfessionen werden bei deren Verzeichnung nicht gemacht. Ihre große Anzahl und die entstehenden Kosten haben die Fertigstellung des Monumentes lange verzögert. Nun versuchen auch in Recklinghausen die Politiker, dem Krieg und der Niederlage einen nachträglichen Sinn zu geben: In der Rede des Oberbürgermeisters Sulpiz Hamm ist von ewiger Dankbarkeit gegenüber den Toten, von soldatischer Tapferkeit, Pflichterfüllung und Treue bis in den Tod die Rede: Wie eine lebende Mauer hätten die Kämpfer an den Fronten gestanden, um die Heimat zu schützen, vor Okkupation zu bewahren und die Einheit des Deutschen Reiches zu verteidigen.

Unter den Ehrengästen und prominenten Vertretern des gesellschaftlichen Lebens in Recklinghausen befindet sich selbstverständlich auch Isidor Horwitz, Prediger und Kantor der Synagogengemeinde Recklinghausen, sowie der Vorsitzender des Synagogenvorstandes, Rechtsanwalt und Notar Isaac Bachrach. Auch die damals bekannten Namen der jüdischen Gefallenen aus Recklinghausen finden auf den Tafeln des Lohtor-Mahnmals volle Berücksichtigung. Sie lauten in alphabetischer Reihenfolge:

Adler, Albert

Beermann, Georg Lakob

Blumenthal, Julius

Buxbaum, Julius

Friedenberg, Oskar

Goldberg, Jonny

Hamlet, Georg

Hirsch, Paul Philipp

Josef, Felix

Meyer, Alfred

Richter, Alfred

Rosenfeld, Hans

Wallach, Siegfried

Weichselbaum, Felix

Weis, Walter

 

Weiterführende Links: