
v.l.n.r.: Abraham Lehrer, Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland; Dr. Mark Gutkin, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen; Friederike Zurhausen, Polizeipräsidentin des Polizeipräsidiums Recklinghausen; Bodo Klimpel, Landrat des Kreises Recklinghausen; Christoph Tesche, Bürgermeister der Stadt Recklinghausen; André Abrahamsohn, der Sohn von Rolf Abrahamsohn mit Ehefrau
Den Gedenkabend zu Ehren des 100. Geburtstags des ehemaligen Vorsitzenden der Gemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen, Herrn Rolf Abrahamsohn, kann man zweifellos als eines der wichtigsten Ereignisse des Gemeindelebens unseres Bezirks bezeichnen. Von 1978 bis 1992 war er Vorsitzender der Gemeinde.
Auf die Bitte von Herrn André Abrahamsohn hin fand der Gedenkabend für seinen Vater im Gebetssaal unserer Gemeinde statt, anstatt irgendeines anderen städtischen Raumes für offizielle Veranstaltungen. Er ist im Dezember 2021 von uns gegangen, hat aber eine unauslöschliche Spur in den Herzen derer hinterlassen, die ihn kannten und die er mit seiner Beteiligung an verschiedenen wohltätigen Projekten unterstützte. Er war ein Mensch mit einem starken Geist, den das schwere Schicksal nicht gebrochen hat; er überstand sieben Konzentrations- und Arbeitslager und hat während der Nazi-Herrschaft alle seine Verwandten verloren.
Rolf Abrahamsohn widmete sein ganzes Leben dem Ziel, dass die Menschen die Schrecken des vergangenen Krieges und die Tragödie des Holocaust nicht vergessen, damit sich dies niemals mehr wiederholt. Im Saal waren außer Gemeindemitgliedern Ehrengäste anwesend, die gekommen waren, um ihre Achtung auszusprechen und sein Andenken zu ehren.
Nach einer kurzen Begrüßung gab der Vorsitzende der Gemeinde Herr Gutkin den VersammelVersammelten eine Gelegenheit Herrn Rolf Abrahamsohn zu treffen. Über hundert Menschen hielten den Atem an, als der Jubilar selbst von zwei Bildschirmen zu sprechen begann. Er erzählte dem Publikum die Geschichte seines Lebens und wandte sich an die Anwesenden, vor allem an die Jugendlichen, mit der Bitte, sein Lebenswerk fortzusetzen. Dies geschah unerwartet und gab der ganzen Veranstaltung eine aufrichtig herzliche Atmosphäre, ohne irgendeine Förmlichkeit und Pathos.
Zu der so emotionalen Kulisse des Abends trug auch die Musik bei. Die Ansprachen der Redner wechselten sich mit Auftritten der Musikgruppe der Gemeinde, musikalischen Aufführungen in der großartigen Interpretation von Misha Nodelman (Geige) und Mark Mefsut (Cello). Auf sehr bewegende Weise erklang die Melodie des Liedes „Mensch“ von Herbert Grönemeyer, welche eine junge Polizistin auf der Flöte spielte.
Der Vorsitzende der Bezirksverwaltung, Herr Bodo Klimpel, stellte laut die Frage zum heutigen Deutschland: „Wie würde sich Herr Abrahamsohn fühlen, wenn er die auf den Straßen deutscher Städte jubelnden Menschenmengen sehen könnte, die den Angriff der Terroristen am 7. Oktober 2023 feiern? Wie würde er auf die sich häufenden Fälle von Angriffen auf Juden reagieren? Was hätte er über die rechtsextreme Partei gesagt, die es als zweitstärkste Fraktion in den Bundestag geschafft hat?“ Und er unterstrich, dass er sich für diese Entwicklung der Ereignisse schämt.
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Abraham Lehrer nannte den Jubilar einen „unermüdlichen Brückenbauer zwischen den Generationen“. Er sagte, dass er nicht nur Zeuge der Shoah war, sondern auch eine warnende Stimme vor deren Wiederholung. Herr Lehrer unterstrich, dass dieser Mensch nach dem Krieg aktiv für ein anderes, neues Deutschland agierte. Ebenso merkte er an, dass es für ihn nicht schwer war, Aufklärungsarbeit vor Jugendlichen zu betreiben. Doch die Auftritte vor Erwachsenen, unter deren sich Leute mit nationalsozialistischen Anschauungen befinden konnten, kosteten viel moralische und physische Kraft.
Der Vizepräsident führte eine Verbindung zur heutigen Zeit an. Er erinnerte daran, was vor kurzem am Denkmal für die Geiseln vor dem Jüdischen Museum in München geschehen ist. Drei syrische Touristen aus Österreich zettelten dort Unruhen an. Als sich die Sicherheitskräfte einmischten, zückte einer der Randalierer ein Messer. Und auch wenn es keine Stichwunden gab, ist es unverständlich, warum diese „Touristen“ nicht festgenommen wurden. „Ich bin dankbar, dass Rolf Abrahamsohn diese Ereignisse nicht mehr miterleben musste“, erklang es zum Schluss.
Die Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen, die von dem Bezirk im Jahr 2024 mit der Rolf-Abrahamsohn-Medaille geehrt wurde, erinnerte sich sehr herzlich an ihre eigenen zahlreichen Treffen mit diesem ungewöhnlichen Menschen. Daran, dass sie stolz und geschmeichelt war über seine Einladung im Jahr 2020 ihn zu Hause zu besuchen, zu der Zeremonie, während der er mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt wurde. „Er war ein Mensch mit einem großartigen Sinn für Humor. Er war ein Vorbild und Inspirationsquelle, er konnte in der persönlichen Unterhaltung Menschen für sich einnehmen und den Gesprächspartner motivieren“, teilte Frau Polizeipräsidentin ihre Erinnerungen. Und sie zitierte die Zeilen aus dem Lied „Mensch“ von Herbert Grönemeyer: „Und der Mensch heißt Mensch, weil er irrt und weil er kämpft, und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt“
Wie alle, die aufgetreten sind, merkte Frau Zurhausen an, dass der Jubilar sich die Realitäten der heutigen Zeit nicht hätte vorstellen können, und noch weniger hätte er sie annehmen können. Als roter Faden zog sich durch alle Reden der Gedanke, dass das Werk seines Lebens zu unserem gemeinsamen Werk werden muss. Am Ende des feierlichen Teils des Abends trat André Abrahamsohn auf. Er sagte, dass die Erinnerungen der Redner an seinen Vater ihn sehr bewegt haben. Auch freute ihn die Tatsache, dass die Menschen Rolf Abrahamsohn nicht vergessen. Der Abend zu Ehren des 100. Geburtstags seines Vaters hätte bestimmt auch dem Jubilar gefallen. Und noch einmal erinnerte er an die Botschaft – das wichtigste Testament seines Vaters an die folgenden Generationen: „Am wichtigsten ist es, dass die Unmenschlichkeit sich niemals wiederholt!“
Zum Abschluss möchte ich persönlich dem Vorsitzenden der Gemeinde Mark Gutkin danken, den Mitarbeitern der Gemeinde, sowie auch allen Beteiligten für den großartig organisierten und durchgeführten Abend.
Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen Foto: Ramiel Tkachenko/J.E.W.