Spuren jüdischer Geschichte


Abschrift des Originalbriefs. Der Stil und die Grammatik des Briefes wurden wie im Original beibehalten.
Am 27. Janaur 2023 versammelten sich Menschen verschiedenster Konfessionen und Religionen, gemeinsam zu einem Koffermarsch durch Recklinghausen, um an die ermordeten Menschen zu erinnern, die dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer fielen. An der Veranstaltung teilgenommen haben auch Leonie Staske und Satine Norkus, zwei Schülerinnen vom Hittorf-Gymnasium.
“Die Opfer des Holocaust können ihre Geschichten nicht mehr erzählen, deshalb ist es als Gesellschaft unsere Verantwortung, an ihre Schicksale zu erinnern, damit sich das was damals geschehen ist, sich nie wiederholt”, sagen die beiden. Aus dieser Überzeugung heraus entstand mit anderen Schüler*innen ein Projekt mit dem Titel „Spuren jüdischer Geschichte – eine Zeitreise durch Recklinghausen“. An verschiedenen Stationen sollen QR-Codes eingescannt werden können, um mit Augmented Reality mehr über jüdisches Leben in Recklinghausen zu erfahren.
Bevor so ein großes Projekt überhaupt erst auf die Beine gestellt werden konnte, war im Vorfeld tagelange Recherchearbeit von Nöten. Dabei stießen Leonie und Satine im Stadtarchiv auf einen Fund, der sie gleichermaßen erstaunte und anwiderte: Briefe von opportunistischen Recklinghäuser Bürgern, die schon vor der Wannseekonferenz von der anstehenden Deportation der Juden Wind bekamen und eine Anfrage ans Finanzamt schickten, ob sie die bald leerstehenden Wohnungen bekommen könnten.
Diese Briefe wollten die Schülerinnen am Holocast-Gedenktag in der jüdischen Synagoge vorlesen, um darauf aufmerksam zu machen, wie das Verbrechen der Nazis damals von weiten Teilen der Bevölkerung hingenommen, in diesem Fall sogar begrüßt wurde. „Natürlich ist man erst unglaublich aufgeregt, vor allem wegen der besonderen Bedeutung dieser Gedenkveranstaltung“, erklärt Satine im Nachhinein. Aber während der Rede herrschte dann eine stille, aufmerksame Stimmung im Publikum, ein Gemeinschaftsgefühl, das bereits auf dem Weg von der Christuskirche zur Synagoge spürbar war und welches die beiden noch gut in Erinnerung haben. Nach der Veranstaltung waren sie vor allem stolz, dass alles so gut funktioniert hat und dass die Anwesenden begeistert von ihrem Engagement gegen das Vergessen waren.
Vielen Zuhörern ist auch nach der Veranstaltung noch im Kopf geblieben, womit die beiden Hittorferinnen*ihren Beitrag abgeschlossen haben: „Diese Briefe sollen uns heute als Mahnung dienen, damit wir jetzt und in der Zukunft eine Gesellschaft schaffen, die sich durch Toleranz und Mitgefühl auszeichnet.“
Satine Norkus, Leonie Staske, Philipp van Sprang, Svenja Kiefer,
Schülerinnen und Schuler des Hittorf-Gymnasiums Recklinghausen
Recklinghausen, den 18.1.1942
An das Finanzamt Recklinghausen
Betreff: Wohnungs-Angelegenheit

Der Brief von Polizeiinspektor an den Herrn Vorstand des Finanzamtes Recklinghausen vom 13.12.41
Haben in Erfahrung gebracht daß die Juden in nächster Zeit von hier weg kommen, und daß hierdurch Wohnungen frei werden.
Wir haben zur Zeit nur zwei Zimmer wohnen also sehr beengt, und außerdem sind unsere Gas- und Lichtleitung mit den anderen Hausbewohnern zusammen. Und das ist vom Gas
und Elektrizitätswerk nicht gestattet. Der Hauseigentümer lässt aber wegen der zwei Zimmer dann keine neue Leitung durch das ganze Haus legen und zudem will er die Zimmer für sich in Anspruch nehmen. Wir sind deshalb genötigt eine anderer Wohnung zu suchen.
Und deshalb wollten wir am Finanzamt anfragen, ob vielleicht für uns eine Wohnung zu beschaffen wäre. Falls es möglich wäre, würden wir um Zuteilung einer 3 Zimmer- Wohnung, am liebsten abgeschlossen, bitten.
Bewerber ist 25 Jahre Straßenbahnschaffner mit Frau und Kind.
Bitten nun nochmals uns in dieser Angelegenheit berücksichtigen zu wollen und bitten um weitere Nachricht.
Frau Sebastian Bruckmoser
Hier
Ernst vom Rath Str.55