1904

1904 – Einladung der Synagogengemeinde Recklinghausen an sämtliche Stadtverordneten Recklinghausens, als Ehrengäste an der Eröffnung und Einweihung der neuen Synagoge an der Hedwigstraße teilzunehmen 

Quelle: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen, Bestand II, Nr. 106, Bl. 77 r, Verfasser: Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen.

Synagogen-Gemeinde

Recklinghausen                                                         Recklinghausen, 17. August 1904

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Stadt Recklinghausen

Eing. 18.Aug. 1904

T[age] B[uch] I 3743

An den

Wohllöbl[ichen] Magistrat der Stadt

Recklinghausen.

 

Freitag den 26. August, Nachmittags 4 Uhr, begeht die hiesige Synagigengemeinde am Portale der neuen Synagoge (Hedwigstraße) die feierliche Eröffnung und Einweihung ihres Gotteshauses. Wir beehren uns, zu dieser Feier unsere verehrte Stadtvertretung als Ehrengäste ganz ergebenst einzuladen, und bitten nur der Reservierung der Plätze wegen um gütigen Bescheid.

Namens der Synagogengemeinde.

das Rabbinat.                         der Vorstand.

Dr. Marx                                 A. Stern

Der Anstieg auf 220 (1900) bzw. 450 (1933) Gemeindemitglieder ging einher mit dem Wachstum der Stadt auf 34 bzw. 88 Tsd. Einwohner. Am 26. August 1914 wurden die Thorarollen feierlich in die neue Synagoge an der Hedwigstraße (später: Limperstr.) übertragen.

Der 23 m x 13 m große und 12 m hohen Saalbau des Recklinghäuser Architekten Cuno Pohlig im gerade entstehenden Westviertel bot 120 Männern im Erdgeschoss und 110 Frauen auf der Galerie Platz. Äußerlich griff der Bau romanische wie maurische Elemente auf; verschieden farbige Backsteinschichten erzeugten eine horizontale Hell-Dunkel-Gliederung. Der Innenraum wurde vom Kirchenmaler Schröder gestaltet. Prägend für die Straßenfront ist der durch eine Rosette geschmückte Turmaufbau, eine Adaption christlicher Gotteshäuser.

Die Zwiebelhaube des 25,65 m hohen Turms wurde durch den Davidstern gekrönt. Das Eingangsportal unterstrich den repräsentativen Charakter: Zwei vorgelagerte Säulen erinnerten an den zerstörten Tempel und die beiden Dekalog-Tafeln oberhalb an die Gebote Gottes.

Im Inneren richten sich die Bankreihen im Langhaus auf die Ostapsis aus. So wird die Aufmerksamkeit auf die höher gelegte Bima und den durch Stufen weiter erhöhten Thoraschrein gelenkt. In ihm werden Heiliegen Schriftrollen aufbewahrt, die auf dem Lesetisch der Bima, die durch ein Geländer abgetrennt ist, währenddes Gottesdienstes verlesen werden. Der Synagogenbau im neoromanischen Stil verfügte – wie es eine religiös-orthodox eingestellte Gemeinde verlangte – über eine Frauenempore; etwa 120 Männer und fast ebenso viele Frauen fanden im Gebäude Platz. Auf den Einbau einer Orgel wurde bewusst verzichtet.

Mit der Einweihung des Jugend- und Gemeindehauses in unmittelbarer Nähe der Synagoge wurde im Oktober 1930 das religiös-kulturelle Zentrum in Recklinghausen komplettiert.

Über die Einweihung vom 26.August 1904 berichtete die „Recklinghäuser Zeitung”:

„ Unsere Synagogengemeinde hatte heute einen ganz besonderen Fest- und Freudentag. Er galt der Weihe des im letzten Jahr erbauten neuen Gotteshauses an der Hedwigstraße. Das nach dem Plane des Architekten Pohlig von dem Bauunternehmer Tillmann erbaute Haus ist ein würdiges Gotteshaus geworden, welches sich außen wie innen in wohlgefälligster Weise präsentiert. Im Innern hat der Kirchenmaler Schröder an seinem Teile in künstlerischer Weise mitgeholfen an der Herstellung eines dem Auge sehr gefälligen Eindrucks. Das Haus zeigt den romanischen Stil. Innen wölbt sich eine mächtige Halle mit einer dreiseitigen Gallerie in wohlgelungener Anordnung und Einzelausführung. Die Akkustik ist eine sehr vorzügliche. Besonders vorteilhaft präsentiert sich das Altargewölbe und der heilige Schrein, in dem die Thorarollen ihre Stätte haben. Alles in allem haben unsere Israeliten alle Veranlassung, sich ihres Gotteshauses zu freuen.”

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: 2. Synagoge in Recklinghausen (Stadtarchiv, aus: recklinghaeuser-zeitung.de)

1904, April – Mai: Verwaltungsverfahren zur staatlichen Genehmigung einer neuen Jüdischen Friedhofsanlage am Nordcharweg, gelegen auf einem durch Kauf erworbenen Grundstück des Speckhorner Landwirtes Theodor Berns hier: Auszug aus dem Magistratsprotokoll mit Beschluss vom 25. April 1904 nebst Vermerk über Eingabe der Jüdischen Gemeinde vom 17. Mai 1904 sowie Abschrift des Schreibens des Ersten Bürgermeisters Albert von Bruchhausen an den Regierungspräsidenten in Münster vom 18. Mai 1904.

Quelle: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen, Bestand III, Nr. 6182, Special Acten betr. den jüdischen Begräbnisplatz, Bl. 56 r-v, Verfasser: Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen.

Auszug

Die Synagogen Vorstand sendet mit Bericht vom 17. Mai 1904 die Beschlüsse des Vorstandes und der Repräsentanten der hiesigen Synagogengemeinde sowie 6 Zeichnungen der Bitte um Genehmigung zur Friedhofsanlage auf dem vom Oeconom Berns in Speckhorn zu erwerbenden Grundstück Flur 12 No. 97.

Gutachten des Kreisarztes Herrn Medikus Dr. Többen ist beigefügt.

Eingegangen 17/5 04

Journal No. 2424 I

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Recklinghausen d[en] 18. Mai 1904.

Ab mit Anlagen

Herrn Regierungs-Präsidenten

zu

Münster

mit der Bitte um geneigte baldige Erteilung der Genehmigung zurückgereicht, da auf dem jetzigen Friedhofe nur noch 2 Plätze frei sind.

Der nunmehr ausgewählte Platz ist außerhalb des Bebauungsplans und genügend weit von der Altstadt gelegen. Zur Orientierung habe ich auf dem Lageplan die Lage des neuen evangelischen Friedhofes mit einem blauen Kreuze bezeichnet.

gez. von Bruchhausen.

 

[Anlage:]

Lageplan

zur projectierten Anlage eines Friedhofes für die israelitische Gemeinde zu Recklinghausen

Gemarkung Recklinghausen Stadt.

Angefertigt Recklinghausen, im Mai 1904

H. Hollmann, vereideter Landmesser.

Für die Synagogen Gemeinde

Rosenberg

Synagogen-Vorsteher.

 

Maßstab 1 : 5.000; genordet, mit farbiger Einzeichnung des Evangelischen Friedhofs an der Halterner Straße und des neuen Jüdischen Friedhofes am Nordcharweg.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weiterführende Links:

Der Jüdische Friedhof am Nordcharweg in Recklinghausen

Quelle: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen, Verfasser: Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen.

Anfang 1816 genehmigte die Stadt Recklinghausen den Zuzug erster jüdischer Familien aus dem Umland; es waren diejenigen der Metzgermeister Jonas Cosmann und Joseph May, denen bald danach Aaron Marcus und Samuel Bendix sowie die Kaufleute Levi und Moses Klein folgten. 1823 kaufte Samuel Bendix als Vorsteher der jüdischen Gemeinde von der Stadt ein 577 qm großes Grundstück am Börster Weg zwecks Anlage eines Jüdischen Friedhofes. Anlass dafür war die schwere Erkrankung des Jonas Cosmann (1765–1823), der drei Tage nach Abschluss des Kaufvertrages starb und als erster dort begraben wurde. Damals lag dieser Friedhof nördlich des alten Siedlungsgebietes der Stadt Recklinghausen, die immer noch von ihren spätmittelalterlichen Mauern umgeben war. Bestandteil des Kaufvertrages war auf Drängen der Bezirksregierung in Münster auch das Recht auf Rückkauf und Rückfall des Geländes zugunsten der Stadt Recklinghausen.

Nach achtzig Jahren war dieser Friedhof, ehemals auf freiem Feld gelegen, vollständig belegt und zudem von immer mehr Wohnhäusern der ab 1900 auch nach Norden expandierenden Stadt umgeben. So musste sich die Synagogengemeinde, die ebenfalls stark angewachsen war, zur Anlage eines neuen, größeren Friedhofes entschließen, und zwar wiederum außerhalb des bebauten Stadtgebietes. Nach Verhandlungen mit dem Magistrat und der Königlichen Regierung in Münster wurde im Frühjahr 1904 ein – unweit der preußischen Landstraße von Recklinghausen nach Haltern gelegenes – Gelände an der Grenze zur Bauerschaft Speckhorn förmlich genehmigt und für geeignet befunden, das in der Größe von rd. 2000 qm von einem ortsansässigen Landwirt angekauft und 1926 durch Zukauf von 5100 qm erheblich erweitert wurde. Auch ein Bodengutachten wurde dafür angefertigt. Die Jüdische Gemeinde nahm für dieses Grundstücksgeschäft einen Kredit auf.

Der neue Friedhof am Nordcharweg wurde in kurzer Zeit hergerichtet und am 7. September 1905 durch Rabbiner Dr. Moses Marx (1876–1924) seiner Bestimmung übergeben. Ein Jahr nach Eröffnung der Recklinghäuser Synagoge an der Limperstraße hatte die Jüdische Gemeinde nun einen zeitgemäßen, mit ausreichend Platz versehenen neuen Begräbnisplatz. Er wurde von Juni 1906 bis August 1941 zur Bestattung jüdischer Gemeindemitglieder aus Recklinghausen und den Nachbarorten genutzt. Bald nach dem Ersten Weltkrieg errichtete die Synagogengemeinde dort auch ein Kriegerdenkmal für 15 gefallene Soldaten aus ihren Reihen. Drei Jahre nach Kriegsende wurde das Monument am 13. November 1921 durch den Bezirksrabbiner Dr. Josef Weiß feierlich eingeweiht, die Inschrift lautet: „Zur Erinnerung an die 1914-1918 fürs Vaterland gefallenen Gemeindemitglieder.“ Das Mahnmal, das bis heute mit Davidstern und Eisernem Kreuz patriotisch-symbolträchtig geschmückt ist, war das erste öffentliche Objekt, das in Recklinghausen an Gefallene des Großen Krieges erinnert.

Der alte Friedhof am Börster Weg, der im Dezember 1904 sein letztes Begräbnis erlebte, blieb zunächst unverändert bestehen und wurde 1928 von Kaufmann Otto Cosmann, dem Nachfahren des Metzgers Jonas Cosmann, ein letztes Mal instandgesetzt. Doch Anfang der 1930er-Jahre, als bereits erste gewalttätige Übergriffe örtlicher Antisemiten zu beobachten waren, wurden 19 verbliebene Grabsteine nebst noch erhaltenen Gebeinen auf den südwestlichen Teil des neuen Friedhofes überführt, wo sie bis heute zu finden sind. Im Jahre 1937 wurde schließlich das Grundstück des alten Friedhofs von der nationalsozialistischen Stadtverwaltung eingezogen und in einen Spielplatz umgewandelt.

Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurde der Jüdische Friedhof am Nordcharweg mehrmals geschändet und nach der Pogromnacht im November 1938 weitgehend verwüstet. Nicht wenige Grabsteine wurden umgestoßen oder in Stücke geschlagen. Spuren davon sieht man noch heute an vielen Grabmälern, deren Inschriften zerstört sind. Das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs überdauerte die NS-Jahre indes unbeschädigt.

107 Begräbnisse hatte es bis Ende 1941 am Nordcharweg gegeben, 80 hebräische Grabinschriften sind bis zu diesem Jahr dokumentiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die kleine Gemeinde heimgekehrter Überlebender ihren Friedhof wieder her. Viele Grabsteine wurden durch die Angehörigen – vielfach von solchen, die nach 1945 ins Ausland emigriert waren – restauriert und wiederaufgerichtet. So wird der Jüdische Friedhof am Nordcharweg seit Juli 1952 wieder regelmäßig für Bestattungen genutzt. Rechts vom Eingang steht das Grabmal des Mannes, dem diese Leistung zu verdanken ist, des Gemeindevorstehers Ludwig de Vries, der 1958 hier begraben wurde. Als Holocaust-Überlebender zurückgekehrt, hatte er mit seiner Ehefrau, Martha geb. Markus, und seiner Mitarbeiterin und Nachfolgerin in der Gemeindeleitung, Minna Aron, die neue Synagogengemeinde aus kleinen Anfängen wiederaufgebaut. Aus Mitteln seines Privatvermögens errichtete er 1948 das Ehrenmal für die 215 aus Recklinghausen stammenden Mordopfer des Holocaust, an dem die Jüdische Kultusgemeinde jedes Jahr am ersten Novembersonntag ein feierliches Totengedenken abhält.