2024

Bei uns aber gibt es Gastspiele!

Es ist immer angenehm, sogar über die kleinsten Errungenschaften unserer Kinder und Enkel zu schreiben, besonders dann, wenn es etwas zu loben gibt – und uns selbst ein weiteres Mal für sie zu freuen. Am 23. Juni dieses Jahres haben wir wieder eine solche Gelegenheit bekommen. Die Theatergruppe der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen hat an diesem Tag am Festival der jüdischen Kindertheater unseres Bundeslandes teilgenommen. Für unser aktuelles Ensemble waren das die ersten Auswärts-Gastspiele.

Also, alles der Reihe nach. Es war das fünfte Festival, ein Jubiläum. Das erste hatte im Jahr 2017 stattgefunden. Die Kinder, die damals teilgenommen hatten, sind groß geworden und die Zusammensetzung der Teilnehmer hat sich völlig verändert. Für gewöhnlich nahmen an dieser Veranstaltung fünf Gemeinden statt. Doch die Coronavirus-Pandemie brachte Korrekturen mit sich und an diesem ersten Festival nach „Corona“ nahmen nur drei Gemeinden teil. Die Gemeinde Duisburg-Mühlheim-Oberhausen  Theater „Ariel“, Leiter Evgeny Livshits, Au ührung „Buratino gegen Barabas“), die Gemeinde Essen (Leiter Rostislav Zaskavski, Au ührung „Ich gebe dir ein Like“) und die Gemeinde des Bezirks Recklinghausen (Leiterin Tatjana Matlina, Au ührung nach den  Motiven des Märchens „Märchen über die verlorene Zeit“ von E. Schwarz.
Dieses Theaterfest fand in Duisburg statt, dank der  nanziellen Unterstützung durch den Zentralrat der Juden in Deutschland und der Gemeinde Duisburg- Mühlheim-Oberhausen. Die Organisatorin des Festivals, die Autorin und diejenige, welche die Ideen zur  Durchführung „ins Leben gerufen“ hat, ist das Mitglied des Gemeinderats Tatiana Naiman. Die Atmosphäre eines wahrhaften Festes war in allem spürbar: wie in der Arbeit der jungen Moderatoren Lüba Neiman und Daniel Schwarz, wie in der fröhlichen,  professionell dargestellten gemeinsamen Pantomime mit den Kindern, die Arnold Sarajinski durchführte, und sogar in dem vielseitigen und sehr köstlichen Menü während der Mittagspause.

Jede Theatergruppe hat einen Preis als Erinnerung erhalten – ein Nachweis über die Teilnahme am Festival, ein kleines Geschenk als Erinnerung für jedes Kind. Niemand war benachteiligt oder traurig über irgendwas. Hier herrschte Lächeln, bei jedem Wettbewerb siegten die Freundschaft und das Wohlwollen, was sehr angenehm war.
„Buratino gegen Karabas“ wurde in deutscher Sprache aufgeführt und berührte aktuelle Probleme. Das Theaterstück der Essener Gruppe behandelte ein gegenwärtiges Thema. Das war eine Erzählung voller Humor und Ironie über die Abhängigkeit Jugendlicher von Smartphone, Twitter-X und Instagram, von Likes und Kommentaren. Und die Probleme, die in dem „Märchen über die verlorene Zeit“ angesprochen wurden, sind leider immer und für jedes Alter aktuell. Wie oft bedauern wir die Zeit, die wir verloren  haben oder die uns jemand gestohlen hat.
Die Kinder waren mit ganzem Herzen bei der Arbeit, ausnahmslos alle waren talentiert (habt ihr jemals ein nicht talentiertes jüdisches Kind getro en?). Es war ein großartiges Fest der Unterhaltung und des Kennenlernens zwischen Kindern verschiedener Gemeinden. Viele kamen mit der ganzen Familie, die sich die Au ührungen anschauen und ihre Kinder unterstützen wollten. Wir möchten sehr gerne, dass diese Festivals zu einer guten Tradition werden. Umso mehr, weil die Organisatorin Tatjana Naiman interessante Pläne für die Zukunft hat. Zum Beispiel die Zahl der Teilnehmer zu vergrößern und diese Veranstaltungen nicht nur einen, sondern mehrere Tage lang durchzuführen. Wünschen wir ihr Erfolg für alles, was sie sich vorgenommen hat! Wir sehen uns  wieder bei den nächsten Theater-Festivals!


Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Über Sozialarbeit und Sozialarbeiter

Von links nach rechts: Jana Stachevski, Valentina Shekun, Elena Kovaleva

Wollt ihr die Gemeinde des Bezirks Recklinghausen näher kennenlernen? Unsere Gemeinde ist wie ein einziger Organismus, der ein interessantes und facettenreiches Leben führt. Und das Herz dieses Organismus ist das Sozialbüro der Gemeinde. Gerade seine  Mitarbeiter sind es, die organisieren, planen, helfen – kurz gesagt: alles tun, damit die Bestandteile dieses Organismus funktionieren.

Bei einer Vielzahl verschiedener Veranstaltungen ist bei uns das Leben in vollem Gange. Ein echter Sozialarbeiter ist ein Helfer, ein Psychologe, ein Jurist und ein Vertrauter. Man geht zu ihm in schlechten und in guten Zeiten. Er hilft dabei, die aufkommenden  Probleme zu bewältigen. Hierhin wenden sich Leute, um Ratschläge, Hilfe und Unterstützung in allen Lebenslagen zu erhalten. Als 24-jähriges Gemeindemitglied kann ich sagen, dass unser Büro immer genug Arbeit hat. Auch wenn die Zeit viele Änderungen  er Tätigkeiten mit sich bringt.
Noch vor zwanzig Jahren gab es vor allem wegen der Sprachbarriere viel mehr Leute, die Hilfe bei unterschiedlichen Behördengängen und bei der Lösung alltäglicher Fragen benötigten. In diesen Jahren ist bei vielen das Sprachproblem in den Hintergrund geraten, und die meisten sind in der Lage, die Fragen selbst zu lösen. Außerdem wurde das Kontingent-flüchtlingsgesetz von 1991 von neuen Regeln abgelöst. Sie wurden 2005 eingeführt, im Rahmen des so genannten „Zuwanderungsgesetzes“; diese stellen ein  zweckgebundenes Programm dar, entsprechend dem die Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die nach Deutschland übersiedeln wollen, eine ganze Reihe von Hindernissen überwinden müssen. Jetzt werden diejenigen bevorzugt, die jung, hochquali ziert und erfolgreich im Beruf sind. Entsprechend integriert sich dieses Kontingent schneller in die deutsche Gesellschaft.

In diesem Zusammenhang sind andere Probleme in den Vordergrund getreten. Zum Beispiel Probleme des Individuums in der  Gesellschaft. Probleme in der Familie, der Verlust des bisherigen (vor der Emigration) sozialen Status, mentales Unwohlsein, Unzufriedenheit mit dem Leben, Einsamkeit, Mangel an Informationen und vieles andere. All das machte die Gründung des  Vertrauenstelefons“ in Deutschland notwendig. Dank der Initiative des Doktors der Psychologie und Vorsitzenden der Gemeinde Dr. Gutkin und des Gemeindemitglieds Sergej Stachevski mit Hilfe der Sozialarbeiterin Jana Stachevski und mit einer kleinen  finanziellen Unterstützung des Ministeriums für Migration (BMAF), wurde im Jahr 2005 ein solcher Dienst bei der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen gescha en. Dieses Projekt ist seit fast zwanzig Jahren aktiv. Einige Generationen von Freiwilligen leisten emotional-psychologische Unterstützung und informativ-beratende Hilfe bei der Lösung lebenswichtiger Probleme.
Ein weiteres wichtiges soziales Projekt, das produktiv in der Gemeinde funktioniert ist die Scha ung einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit Besonderheiten der Entwicklung. In den Jahren der Emigration sind Kinder gewachsen, die zu der Kategorie  Menschen mit beschränkten Möglichkeiten“ gehören: physisch, psychisch oder psychologisch. Sie und ihre Familien erleben oft Schwierigkeiten. Diese Leute fühlen sich oft nicht nur aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen, sie erleben auch ein  Kommunikationsde  zit in russischer Sprache und brauchen oft Hilfe und Unterstützung. Im Jahr 2011 wurde in Nordrhein-Westfalen dank dem Projekt „Gesher“ der ZWST, das von der Organisation Aktion Mensch unterstützt wurde, die Selbsthilfegruppe (SHG) gegründet, deren Ziel es ist, diese Probleme zu überwinden. Die Teilnehmer der Gruppe führen regelmäßig mit Hilfe von Freiwilligen und der Sozialarbeiterin Jana Stachevski kreativen Unterricht zu verschiedenen Themen durch, treffen ebensolche Gruppen aus anderen Städten, tauschen Informationen aus, unterhalten sich, nehmen aktiv am Leben der Gemeinde teil.
Ein individueller Zugang zu jedem ist das hervorstechendste Merkmal des Berufs des Sozialarbeiters, ebenso wie Güte, Verständnis, Achtsamkeit und Empathie. Fast alle Mitglieder der Gemeinde, die in den 90er Jahren nach Deutschland gekommen sind,  waren Kriegskinder. Deswegen unterstützt sie seit den ersten Tagen des Lebens in Deutschland bis heute nicht nur das Sozialbüro, sondern auch der Fonds „Claims Conference“ und EVZ (Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“), mit deren Hilfe vielseitige Veranstaltungen für Holocaust-Überlebende  nanziert werden.
In diesen Jahren ist die Zahl älterer Leute gewachsen, die Hilfe benötigen, und einige von ihnen sind einsam. Doch auch diejenigen, die eine Familie haben, können bei Weitem nicht immer die notwendige Unterstützung erhalten. Davon sind vor allem Demenzkranke betro en. Von diesen Bedürfnissen ausgehend und dank unseren Sozialarbeitern ist bei uns noch ein großes Projekt angelaufen, das auf § 45b SGB XI basiert. Die Rede ist von Hilfsangeboten, die eine Last von denen nehmen, welche Pflege  bewerkstelligen müssen. Es wird alles getan, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange zuhause bleiben, soziale Kontakte aufrechterhalten und weiterhin möglichst selbstständig das tägliche Leben bewältigen.
Wer kennt die Kehrseite aller unserer Krisen – seelisch, gesellschaftlich, ökonomisch und politisch – besser als die Sozialarbeiter? Wer, wenn nicht der Sozialarbeiter, ist bereit euch die helfende Hand in einer schwierigen Lebenslage zu reichen? Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die Tätigkeit des Sozialbüros um eine große Ausrichtung erweitert: Hilfe für die Menschen, die vor dem Krieg ge ohen sind. Mit  nanzieller Unterstützung der Organisation „Aktion Mensch“ ist eine große Arbeit in diese Richtung gestartet. Und das ist bei Weitem nicht alles, es gibt noch viele unterschiedliche Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene: ein Chor und eine Gesangsgruppe für Erwachsene, zwei Theatergruppen für Kinder und ein Kinderchor, eine Kinder- Tanzgruppe, Englisch-Unterricht, ein Handarbeits-Workshop, ein Seniorenclub, ein Frauenclub, eine Malgruppe, jüdische Tänze, der Club „Wir sprechen Deutsch“ usw. Alles kann man hier nicht aufzählen. Natürlich finden alle diese Veranstaltungen mit der Unterstützung der Gemeinde, vertreten durch ihren Vorsitzenden Dr. Gutkin, statt. Jeder Unterricht wird durch einen Leiter vorbereitet und durchgeführt, der zweifellos seine Seele und seine Kräfte in die Durchführung steckt.
Die Mitglieder unserer Gemeinde haben Glück gehabt. Alle drei unserer Sozialarbeiterinnen Jana Stachevski, Valentina Shekun und Elena Kovaleva haben mit ihrer Arbeit das Vertrauen, die Liebe und Dankbarkeit der Schützlinge gewonnen.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen Foto: Alexander Libkin

Wir sind vom gleichen Blut

Die uns allen seit der Kindheit bekannten Worte Moglis ertönten am 30. Juni in einer Aufführung, die von der Kinder-Theatergruppe „Ich plus du“ der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen nach den Motiven des „Dschungelbuchs“ von Rudyard Kipling auf die Beine gestellt worden war. Eine weitere Premiere des Theaterstücks, gespielt von unseren Kindern, war wie immer sehr erfolgreich. Und das hat nichts damit zu tun, dass sich im Saal das „eigene“ Publikum befand. Natürlich kommen die Familien jedes Mal mit Vergnügen, um die jungen Darsteller zu unterstützen. Die Sache ist die, dass das darstellerische Können kontinuierlich von Aufführung zu Aufführung wächst. Auf der Bühne sehen sie sicherer und professioneller aus. Natürlich hat unsere ständige Regisseurin, Drehbuchautorin und künstlerische Leiterin der Gruppe Tatjana Matlina das Skript geschrieben und das Theaterstück auf die Beine gestellt. Und wie immer war diese Aufführung interessant und sehr gut gemacht, dank der enormen gemeinsamen Arbeit der Erwachsenen und Kinder.

Erstens haben daran zwei Bereiche der Theatergruppe teilgenommen – der ältere und der jüngere. Zweitens gab es hier viel Musik und Tanz, welche die ehemaligen Teilnehmerinnen der Gruppe Nikol Matlina und Mishel Kobolotzkaya aufgesetzt haben. Die Mädchen sind älter geworden und helfen jetzt sehr aktiv den aktuellen kleinen Darstellern und ihrer Großmutter Tatjana. Drittens war das Stück sehr schön auf der Bühne anzusehen dank der Vielzahl unterschiedlicher strahlender und großartig erarbeiteten Kostüme! Allein für das Wolfsrudel waren etwa ein Dutzend Kostüme angefertigt worden! Und außerdem gab es ja noch eine Affenkolonie, Pfauen, den Bären Balu, den Panther Baghira, den Tiger Shir Khan, den Python Kaa, den Schakal und Mogli! Ein großer Dank an die Kostümbildnerinnen Valentina Kulikova und Natalia Kobolotzkaya! Viertens nahmen an der Aufführung sechs (!) Neulinge teil. Die Kinder waren gekommen, nachdem sie die letzten zwei Aufführungen von „Ich plus du“ gesehen hatten. Die Jugendlichen wollten von selbst, ohne Druck durch die Eltern, an den neuen Aufführungen teilnehmen. Und das ist die beste Bewertung der Arbeit einer Theatergruppe. Wie großartig es ist, wenn ein gemeinsames Ziel und gemeinsame Arbeit verschiedene Generationen miteinander verbinden!

Wahrscheinlich muss man wirklich von gleichem Blut sein oder etwas sehr Zusammenpassendes in der Seele von Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, Berufe und Nationalitäten haben, um so hingebungsvoll der gemeinsamen Kunst und den Geheimnissen des Theaters gewidmet zu sein!
Das Theaterstück ist voll von künstlerischen Gewinnen und Erfolgen. Ich möchte noch einmal allen Beteiligten für ihre Aufführung danken und unterstreichen, dass es eine riesige gemeinsame Mühe ist. Beginnend mit Eltern, die an ihrem freien Tag oder nach der Arbeit ihre Kinder zu den Proben bringen, anstatt sich auszuruhen. Den Kindern, die in ihrer Zeit, die frei ist von Schulunterricht und der Teilnahme an anderen Workshops sowie sportlichen Aktivitäten, fleißig Texte lernen und Tänze einstudieren. Und schließlich der Regisseurin, den Kostümbildnern, den Künstlern, Musik-Operatoren und den vielen freiwilligen Helfern. Das alles ist also nicht umsonst, das Leben geht weiter. Wir wünschen ihnen allen kreativen Erfolg!

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Folkadu auf dem Kulturvolksfest am 1. Mai

Mit Politik und Kultur starteten die Ruhrfestspiele 2024 auch dieses Jahr mit dem Kulturvolksfest am 1. Mai in die Festspielsaison!

Zahlreiche Vereine und Initiativen präsentierten sich auf dem Gelände rund um das Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen und eine fünfstellige Besucherzahl erlebte ein ausgesuchtes, vielfältiges Kulturprogramm auf dem grünen Hügel. Politik und Kultur, Walking Acts, Musikbeiträge, Tanzdarbietungen, Theaterproduktionen, sowie Bewegungs- und Spielangebote für Kinder waren feste Programmpunkte des diesjährigen Kulturvolksfestes. Am Ende ein großes Fest von und mit Menschen der Region mitgetragen von dem Deutschen Gewerkschaftsbund.
Besonders haben wir uns über die Teilnahme von Yael Gat mit ihrem Musikensemble Folkadu aus dem Kulturprogramm des Zentralrats der Juden gefreut. Das gemeinsame Engagement der jüdischen Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen und des  Planungsteams des Kulturvolksfestes hatte den Zentralrat der Juden davon überzeugen können, uns an seinem Kulturprogramm partizipieren zu lassen. So konnten wir den Auftritt der Gruppe Folkadu im kleinen Haus des Ruhrfestspielhauses realisieren. Kein Platz blieb unbesetzt und mit Folkadu erlebte das Publikum die Magie jüdischer Musik.
Folkadu spricht Menschen auf der ganzen Welt an, unabhängig von Alter, kultureller oder religiöser Herkunft. Jüdische Musik ist eine globale Musik, denn ihre Lieder handeln von Alltagssituationen, mit denen sich jeder identifizieren kann. Deshalb möchte die  Band eine Brücke schlagen und die Menschen einander näher bringen und sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. (Folkadu).

Aus der gemeinsamen Kooperation lässt sich sicherlich die Botschaft ableiten, dass Antisemitismus weder im Kulturbetrieb noch gesamtgesellschaftlich einen Platz haben darf.
Ferner haben wir weitere Musiker*innen aus der jüdischen Kultusgemeinde für die kleine Konzertreihe im Raum Uranus gewinnen können. Irina Knauer und Evgenie Vilkinski überzeugten mit einem virtuosen Geigenduett und Anastasia Selenkewitsch  bezauberte ihr Publikum mit klassischer Musik am Klavier.
Ganz besonderer Dank an Dr. Mark Gutkin für sein Engagement, wir hoffen gemeinsam, dass es weiter geht.

Team des Kulturvolksfestes 1. Mai Foto: Maria Koltschin

Juden aller Länder, vereinigt euch!

Die Frauengruppe unserer Gemeinde hat einen Themenabend unter diesem Titel veranstaltet. Er fand in einer außergewöhnlichen und faszinierenden Form statt. Vorbereitet und durchgeführt wurde das Programm durch unsere üblichen Moderatorinnen Elena  Blaiwas und Tatjana Matlina. Drei Gruppen von Teilnehmerinnen haben die Aufgabe bekommen, zwei beliebige Länder auszuwählen und in einer kreativen spielerischen Form von den Besonderheiten des jüdischen Lebens dort zu erzählen.

Selbstverständlich haben unsere talentierten jungen Frauen die Aufgabe glänzend (wie denn auch sonst?) geschafft. Wir haben nicht nur viel Neues und Interessantes darüber erfahren, wie Juden in Belgien, Japan, Usbekistan, der Ukraine und Israel leben, sondern haben auch das Land Mameloschn besucht. Dieses Land gibt es nicht auf der Weltkarte, sondern in unseren Herzen. Es ist die Heimat aller europäischer Juden. Wir alle stammen aus diesem Land. Dort sind unsere Wurzeln und unsere Geschichte. Das  Land der Menschen, die Jiddisch gesprochen haben – die Sprache, die durch die Katastrophe des Holocaust, genauso wie viele ihrer Sprecher, vernichtet wurde. Aber dennoch ist Mameloschn für uns das Land der jüdischen Shtetl, voller Liebe, Sonne und  Humor.
Überhaupt waren die Erzählungen über die Juden aller Länder voll von Liebe, interessanten Details und natürlich Humor. Denn unser Volk liebt es, über sich selbst zu lachen, und sei es auch unter Tränen. Aus der Tradition heraus können wir über alles Mögliche lachen – außer über Katastrophen, Waisenkinder und Behinderungen.
Für den Abend war eine Vielzahl köstlicher Speisen vorbereitet worden. Hier kam man nicht um eine Überraschung herum. Neben dem traditionellen Hering-Vorschmack, den vielfältigen Salaten und Brotaufstrichen haben wir mit Vergnügen „Bahsh“ probiert.  Das ist ein Pilaw mit Grünzeug, nach dem Rezept von Juden aus Buchara.
Ich möchte besonders die Teilnehmerinnen der Frauengruppe erwähnen, von denen viele Flüchtlinge aus der Ukraine sind und voller Freude besonders aktiv an dem Leben der jüdischen Gemeinde des Bezirks Recklinghausen teilhaben. Vor kurzem hat die Gemeinde für sie ein scherzhaftes Quiz durchgeführt, mit dem sie alle Anwesenden aufgeheitert und erfreut hat.
Der Abend ging in einem Atemzug vorbei. Wir hoffen, dass er den Anfang einer Reihe ähnlicher Abende bilden wird, die verschiedene Aspekte des jüdischen Lebens in den Ländern der Welt thematisieren.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Eine Feier des Kennenlernens und der Unterhaltung

Ich habe bereits mehrmals darüber geschrieben, dass es in der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen seit dem Jahr 2011 die Selbsthilfegruppe „Regenbogen“ für Menschen mit Besonderheiten der Entwicklung und eingeschränkten Möglichkeiten gibt, die im  Rahmen des Projektes „Gesher“ aktiv ist. Dieses Projekt hat die Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) ins Leben gerufen, in  nanzieller Kooperation mit der deutschen Sozialorganisation „Aktion Mensch“. Sein Ziel ist, „besonderen“  Menschen jüdischer Nationalität zu helfen, sich in das Leben der Gesellschaft zu integrieren, unabhängig von ihrem Alter und dem sozialen Status. Mitglieder der Gruppe, ihre Familien und Freunde veranstalten sonntags kreative Tre en, unterhalten sich, erkunden gemeinsam die Welt, weiten ihre täglichen Aktivitäten aus, was für jeden Menschen nicht unwichtig ist. Seit zehn Jahren veranstalten sie jeden Sommer als Tradition ein „Grillen für Kennenlernen und Unterhaltung“ mit Mitgliedern ähnlicher  Gruppen aus anderen Städten des Landes Nordrhein-Westfalen. Das geschieht hauptsächlich dank der Arbeit von Freiwilligen, wofür ihnen ein riesiger Dank gebührt.
Diesmal fand das Tre en am 4. August statt.
Die gemeinsamen vier Stunden sind wie im Flug vergangen. Ausgezeichnetes Wetter, gemeinsame Zubereitung der Speisen, Lieder, Tänze, Lachen, Lächeln, eine freundschaftliche Atmosphäre – das alles machte das Tre en unvergesslich. Weitere gemeinsame  Pläne sind: eine gemeinsame eintägige Fahrt in den Grugapark Essen. Die Stadt Essen ist geogra sch der bequemste Punkt für alle Teilnehmer. Und der Grugapark ist ein hervorragender Platz für Erholung und freundschaftliche Tre en. Doch das sind  Zukunftspläne. Fürs Erste danken alle Teilnehmer des Festes des Kennenlernens und der Unterhaltung der ZWST, der Gemeindeführung und allen Freiwilligen, die beteiligt waren, für die Unterstützung und die Durchführung des Festes. Besondere Dankbarkeit  gilt der Leiterin der Gruppe aus Düsseldorf, Irina Zelenetska. Bis zu neuen Treffen, Freunde!

Jana Stachevski, (BA Sozialarbeiter) Inklusionsfachbereich Gesher

Wir erholen uns, lernen einander kennen, unterhalten uns

Erholung bedeutet nicht, nichts zu tun. Sich von der Routine und nicht aufschiebbaren Dingen zu erholen, eine Pause von der täglichen Arbeit und Hektik zu machen ist immer nützlich. Sich umzuschauen, die Schönheit der Natur um sich herum zu sehen, das Rauschen des Wassers zu hören, das Blau des Himmels zu sehen – das alles ist überhaupt keine Zeitverschwendung. Indem wir uns erholen, tanken wir Lebenskraft, laden Lebensenergie für weitere noch produktivere Arbeit auf.
In der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen werden schon seit vielen Jahren verschiedene gemeinsame Reisen unternommen. Leider wurde diese gute Tradition während der Corona-Pandemie unterbrochen. Und genau jetzt fängt man endlich an, sie wieder au—fleben zu lassen. Während dieser Phase fanden viele Veränderungen in unserem Privatleben und im Leben der Gemeinde statt. Während der vergangenen Quarantäne sind wir irgendwie voneinander getrennt worden, haben es uns abgewöhnt, Zeit miteinander zu verbringen. Außerdem sind unsere Reihen (wegen des Krieges in der Ukraine) in den letzten zwei Jahren durch neue Mitglieder aufgefüllt worden. Diese Umstände berücksichtigend hat die Leitung der Gemeinde beschlossen, eine gemeinsame eintägige touristische Reise in die Niederlande zu organisieren: die Stadt Giethorn und der Park der Orchideen (De Orchideeën Hoeve). Diese Route für die Reise war nicht zufällig ausgewählt worden. Denn ihr Ziel ist es, Leute unterschiedlicher Altersgruppen und Interessen zu vereinen, miteinander bekannt zu machen und sie genau dadurch für eine aktive Teilnahme an allen Bereichen des „jüdischen Lebens“ zu begeistern. Man muss sagen, dass alles so gut gelungen ist, dass es nicht mehr besser ging. Die interessante Reise versammelte knapp 50 Personen unterschiedlicher Altersgruppen, von den Kleinsten bis zu den Ältesten. Viele fuhren als gesamte Familie mit, einschließlich der Kinder. Spaß am Gesehenen und Erlebten hatten alle.
Das Städtchen Giethorn ist als das niederländische „Venedig“ bekannt. Es besteht aus einem Netz von Kanälen. Hier gab es früher keine Wege (heutzutage gibt es einen Fahrradweg) und der ganze Verkehr ndet auf den zahlreichen Kanälen statt. Sie sind
auf einem Platz gegründet worden, wo Torf gewonnen wurde. Wir hatten die Gelegenheit, mit kleinen Booten zu fahren, über ungewöhnliche Brücken zu gehen, die märchenhafte Architektur zu genießen. Außerdem konnten wir die lokale Leckerei genießen: köstlichste Waš eln, die im Mund schmelzen und die in nationale Tracht gekleidete ältere Damen vor Ort zubereiteten. Nicht weniger mitreißend war der Spaziergang durch den Park der Orchideen. Es sind praktisch mehrere Parks: ein tropischer, ein malaysischer, ein taiwanesischer und ein Park der Schmetterlinge. Es ist ein Labyrinth zahlreicher Wege durch einen angelegten Dschungel, strahlende Schönheit verschiedener Sorten von Orchideen und anderer exotischer Pflanzen. Das malaysische Fischerdorf zwischen Bächen und Wasserfällen mit stillen Teichen, einer kunterbunten Unterwasserwelt und geheimnisvollem Seetang. Eine kunterbunte fröhliche Welt von Papageien und Schmetterlingen, rosafarbenen Flamingos und kleinen Äffchen. Außerdem große Spielplätze für Kinder, bequeme Bänke für Erwachsene und ein gemütliches kleines Restaurant für alle.
Die zwölf Stunden der Reise sind wie im Flug vergangen. Die ganze Zeit herrschte eine wohlwollende, begeisterte Atmosphäre. Die Teilnehmer haben sich nicht nur erholt, sondern auch einander besser kennengelernt und sich sehr gerne miteinander unterhalten. Es wurden interessante Vorschläge für die weitere Arbeit und Pläne für interessante kreative Veranstaltungen und neue nicht weniger interessante Reisen gemacht. Wir danken der Gemeindeführung für eine so großartige Idee und ihre Verwirklichung. Wir hatten einen wunderbaren Tag in großartiger Gesellschaft.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Ein Strauß zum Shawuoth-Fest

Seit 2011 gibt es in der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen eine Gruppe zur gegenseitigen Unterstützung für Menschen mit Besonderheiten der Entwicklung und begrenzten Möglichkeiten welche im Rahmen des Projektes „Gesher“ („Regenbogen“) aktiv ist. Ins Leben gerufen hat dieses Projekt die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) bei  nanziellem Zusammenwirken mit der deutschen Sozialorganisation „Aktion Mensch“. Ziel des Projekts ist es, jüdischen Menschen zu helfen, die physische und psychische Probleme haben, in das Leben der Gemeinschaft zu integrieren, unabhängig von ihrem Alter oder dem sozialen Status. Sonntags versammeln sich die Mitglieder der Gruppe in Begleitung ihrer Angehörigen und Freiwilligen in der Gemeinde. Jedes dieser Tre en ist für diese Menschen ein Fest der Unterhaltung mit Freunden, ein weiterer Schritt, etwas Neues zu lernen. All das trägt dazu bei, Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten das kommunikative De zit, die Ratlosigkeit und Beunruhigung zu nehmen, wie auch den Radius ihrer Lebensaktivität zu erweitern. Es ist sehr wichtig, dass der „Regenbogen“ nicht in geschlossenem Raum existiert, sondern aktiv an vielen Veranstaltungen teilnimmt, die Au ührungen der Theatergruppe besucht, zu Picknicks und Exkursionen reist und am religiösen Leben der Gemeinde teilnimmt. Ein sehr interessantes Tre en der Gruppe fand am 2. Juni statt. Es war dem Feiertag Shawuoth gewidmet. Ein alter Freund des „Regenbogens“ Igor Levi (ein Mitglied des Gemeinderates  und verantwortlich für die Durchführung religiöser Veranstaltungen) erzählte sehr fesselnd über die Bedeutung und die Traditionen des Festes und hat Fragen des Publikums beantwortet.

Shawuoth ist einer der drei Hauptfeiertage im Judentum (die beiden anderen sind Pessach und Sukkoth). Alle drei wichtigsten jüdischen Feiertage haben eine direkte Verbindung zum Auszug aus Ägypten. An Pessach sind die Juden dort ausgezogen, an  Shawuoth fünfzig Tage später haben sie die Torah auf dem Berg Sinai erhalten. An diesem Tag werden drei Ereignisse gefeiert: der Tag der Gabe der Torah, die erste Ernte, der Geburts- und Todestagdes Königs David. Laut der Tradition wird der jüdische Retter – Mashiach (Messias) – direkter Nachkomme Davids sein.
Das hebräische Wort Shawuoth שבועות) ) bedeutet wörtlich „Wochen“. Nach sieben Wochen, am 50. Tag nach dem Auszug aus Ägypten, näherten sich die Juden dem Berg Sinai und erhielten von G“tt die Torah, damit einen Vertrag mit ihm eingehend und versprechend, die Gebote zu befolgen.
Die alternativen Namen des Festes sind im Hebräischen „Chag Matan Torah“ (Fest der Gabe der Torah), „Chag ha-Bikurim“ (Fest der ersten Gabe der Ernte), Hag ha-Katzir (Erntefest). In der Bibel wird es als Erntefest bezeichnet, weil man es genau in der Periode des Beginns der Weizenernte feierte, sowie als Fest der ersten Früchte, da man an diesem Tag die ersten Früchte der neuen Ernte in den Tempel brachte.
Vom Berg Sinai zurückgekehrt, begnügten sich die Juden mit milchiger Nahrung, denn die Gesetze über das koschere Fleisch und über die Trennung von Fleischigem und Milchigem voneinander waren für sie noch schwierig und ungewohnt. Deswegen umfasst das Festmahl zu Shawuoth unbedingt milchige und mehlige Speisen. Entsprechend den Traditionen haben die Mitglieder der einträchtigen Gruppe gemeinsam eine Käsepizza gebacken.
Weil die Torah das Leben vervielfacht, schmückt man das Haus und die Synagoge mit s c h ö n e n und aromatischen grünen Zweigen von Bäumen und anderen P‰ anzen, die das Leben symbolisieren. Dies erinnert uns daran, dass der Berg Sinai sich während der Gabe der Torah von Gras und Blumen bedeckte. Sich nicht von der alten Tradition entfernend, doch mit dem Wunsch, etwas Neues hineinzubringen, hat unsere kreative Gruppe aus Papier, Luftballons und anderen Hilfsmitteln einen großartigen Strauß geschan. Auch er soll die Synagoge während der festlichen G- ttesdienste schmücken.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Verdiente Ehrung

Verleihung der Rolf-Abrahamsohn-Medaille an Friederike Zurhausen Friederike Zurhausen (2.v.r.) freute sich über die Glückwünsche von Landrat Bodo Klimpel (re.), André Abrahamsohn und Laudatorin Judith Neuwald-Tasbach Foto: © Kreis Recklinghausen, Tim Deff te

Diese sympathische zierliche Frau kennen viele im Bezirk Recklinghausen. Friederike Zurhausen ist eine Frau, die mit Stereotypen bricht. Gerade sie, die „Polizistin ohne Abzeichen“, kein „starker, muskulöser Macho“, ist seit September 2012 Polizeipräsidentin
des Kreises. Die Hauptverwaltung der Polizei, die sie leitet (etwa 1700 Personen), ist für die Sicherheit von 735.000 Bewohnern der zehn Städte des Kreises und der unabhängigen Stadt Bottrop verantwortlich. Außerdem unterhalten Frau Zurhausen und die von ihr geführte Polizeibehörde schon seit vielen Jahren gute nachbarschaftliche Beziehungen zur jüdischen Gemeinde des Kreises Recklinghausen.

Vor gar nicht allzu langer Zeit, in einer der letzten Ausgaben unserer Zeitschrift haben wir von unserem Besuch bei der Verwaltung erzählt, wo der Polizeichef und der Leiter des Sicherheitsdienstes des Kreises zwei Führungen für Gemeindemitglieder veranstalteten. Die Dauerausstellung „wir erinnern“ ist der Geschichte des Polizeipräsidiums der Stadt gewidmet. Sie umfasst die Periode zwischen der Gründung der Polizeibehörde im Jahr 1922 bis 1988, als die Tragödie mit den Geiseln in der Stadt Gladbeck
geschehen ist. Einen besonderen Platz nimmt darin die Beschreibung der Verbrechen ein, die Polizisten des Kreises Recklinghausen während der NS-Diktatur begangen hatten.
Ich möchte an die Worte von Frau Zurhausen erinnern, die sie an uns, Besucher der Ausstellung, richtete: „Nach den terroristischen Angriff en der Hamas auf Israel wurden in der Stadt einige Verbrechen mit antisemitischem Hintergrund dokumentiert. Die aktuellen antisemitischen Vorfälle zeigen, wie wichtig es ist, sich an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Wir müssen eine Lehre aus diesem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte für die Gegenwart und Zukunft ziehen und entschlossen den antidemokratischen Strömungen und jeder Form von Antisemitismus entgegenstehen.“
Ein überzeugendes Zeugnis ihrer Worte ist der Abschnitt der Ausstellung, in dem es um die Geschichte der Freundschaft zwischen des Polizeipräsidiums Recklinghausen und Rolf Abrahamson geht – ein Mensch, der den Holocaust überlebte und sieben  Konzentrations- und Arbeitslager durchgestanden hatte. Rolf Abrahamson, am 9. März 1925 in Marl geboren, erlebte die Schrecken des Nationalsozialismus durch eigene Erfahrung. Er hat alle Familienmitglieder in den Konzentrationslagern während des Zwei-
ten Weltkrieges verloren. Nach Kriegsende kehrte Rolf Abrahamson in seine Heimat zurück und trat bis zu seinem Tod am 23. Dezember 2021 gegen das Vergessen des Holocausts auf. Mehrmals hatte er sich mit Mitarbeitern des Polizeipräsidiums Recklinghau-
sen getroff en und ihnen von dem Erlebten erzählt.
Seit November 2018 hat die Verwaltung des Kreises Recklinghausen die Verleihung der Rolf-Abrahamsohn-Medaille als Ehrenauszeichnung für einen herausragenden Beitrag zum Gemeindeleben beschlossen. Dieses Jahr wurde Friederike Zurhausen für die Aufklärung junger Polizisten über die Unmenschlichkeiten des Nazi-Regimes mit dieser Medaille geehrt.
„Solche Persönlichkeiten wie Sie müssen als Vorbild für junge Leute dienen, bei dem Kampf gegen das Schüren des Hasses, des Verrats, der Diskriminierung und der sozialen Isolation. Sie sind ein leuchtendes Vorbild in unseren teilweise dunklen Zeiten“, unterstrich der Landrat des Kreises, Bodo Klimpel.
Frau Zurhausen nahm die Ehrung mit verhaltener Aufregung an. „Diese Ehrung ist das Anerkennen der Verdienste meiner Kollegen in der Polizeibehörde, die jeden Tag für die Vorherrschaft der Gesetze und die demokratische Existenz eintreten, ihre Position
demonstrieren und den extremistischen, rassistischen und antisemitischen, unmenschlichen Aktivitäten von rechts entgegenstehen. Rolf Abrahamson war ein „Fänger menschlicher Seelen“ im positivsten Sinne dieser Worte. Er hat mich „gefangen“. Und ich
wurde zur Zeugin seiner Geschichte. Er hat uns geholfen zu verstehen, wie wichtig ein „Kompass menschlicher Werte“ für Mitarbeiter der Polizei ist, welches Gift in antisemitischen Äußerungen verborgen ist und wie zerstörerisch Menschenhass sein kann. Der
Regierungsapparat darf nie wieder die Polizei in seinen unmenschlichen Zielen ausnutzen.“
Neben der Medaille gibt es als weitere Anerkennung eine Geldsumme von 1.000 Euro, die die Chefin der Polizei an das Kinderpalliativzentrum der Stadt Datteln spendete.
An der feierlichen Zeremonie der Ehrung nahmen auch der Leiter der Kreisverwaltung Bodo Kimpel, André Abrahamson, der Sohn von Rolf Abrahamsohn, die stellvertretende Leiterin der Kreisverwaltung Martina Eißing und Dr. Marco Servas sowie der Bür-
germeister von Datteln, André Dora teil.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Auf den kreativen Erfolg

Vor nicht allzu langer Zeit fand in Castrop-Rauxel zum zweiten Mal das Musikfest „Nacht der Chöre“ statt. Das erste erfolgreiche Treff en der Chöre fand im Jahr 2018 statt und die Musikgruppe unserer Gemeinde nahm erfolgreich daran teil. Das nächste Treffen wurde durch die Corona-Pandemie verhindert. Und so versammelten sich 2024 wieder Fans der Chormusik. 12 Chöre auf drei Bühnen, nur wenige Minuten voneinander entfernt: am Reiterbrunnen, Lambertusplatz/Lambertuskirche sowie der Simon Cohen-Platz schenkten Chöre ihre Vokalkunst dem Publikum. Es waren Canta Nova, der gemischte Chor Alt-Castrop, der Kirchenchor der Heiligen Cäcilia Rauxel, die Musikgruppe der jüdischen Gemeinde des Bezirks Recklinghausen, Evangelische Chöre Nord, St. Franziskus Schwerin, der Shanty-Chor, Gospel Voices, St. Lambertus, der Chor der Lutherkirche, der spirituelle Chor Castrop-Rauxel-Nord und Soulvoices aus Herne.

Und auch wenn unsere Musikgruppe zum zweiten Mal eingeladen worden war hier aufzutreten, hatte diese Auff ührung für sie eine große Bedeutung. Es ist so, dass es die Gruppe seit 2007 gibt, doch in den letzten Jahren fanden in ihr große Veränderungen statt. Erstens beendete der jahrelange Leiter Nikolai Mjasoedow seine Konzerttätigkeit und seit 2022 führt das Ensemble die neue Chormeisterin Eranui Stepanjan an – eine talentierte, die Musik liebende und bis zur Selbstaufgabe der Lieblingstätigkeit gewidmete Frau. Zweitens änderte sich auf bedeutsame Weise die Zusammenstellung der Teilnehmer. Früher war es ein vierstimmiges gemischt-geschlechtliches Ensemble, jetzt dagegen dreistimmig und weiblich. In dieser Zusammensetzung war die Gruppe noch nie außerhalb der eigenen Gemeinde aufgetreten.
Man muss sagen, dass das Repertoire unserer Gruppe sehr vielfältig ist. Das sind moderne Werke, Folklore, Pop- und Jazz-Arrangements. Im Rahmen des Konzertprogramms „Nacht der Chöre“ wurden „Donna, Donna“ von Shlomo Secunda, „Ani Maamin“ („Ich glaube“), „Jerushalaim shel zahav“ von Naomi Shemer, „Halleluja“ von Leonard Cohen und vieles mehr dargeboten.
Ihren Auftritt begann die Gruppe an einem denkwürdigen Ort, dem Simon-Cohen-Platz. Genau hier hatte die Synagoge gestanden, die in der Kristallnacht niedergebrannt ist. „Wir möchten diesen Ort und seine Bedeutung durch unsere Musik ehren“, sagte Eranui Stepanjan in ihrem Interview für die Zeitung der Stadt Castrop-Rauxel.
Insgesamt führte das Ensemble acht musikalische Werke auf. Einige wurden als Zugabe gespielt. Wobei es von dem zurückhaltenden deutschen Publikum Standing Ovations für die Interpreten gab. Besonders begeisterten Applaus gab es vom Publikum für die gemeinsame Auff ührung der Musikgruppe mit den Solisten Lusine Arakelyan (Soprano) und Ara Babujyan (Bariton). Die Musikgruppe der jüdischen Gemeinde Recklinghausen wurde gleich nach dem  Auftritt zur Teilnahme an der nächsten „Nacht der Chöre“ im Jahr 2026 eingeladen.
Das ist ein verdienter und überhaupt nicht leicht erarbeitet Erfolg. Zwanzig enthusiastische Amateure kommen zweimal die Woche zu den Proben (viele von ihnen nach einem Arbeitstag). Die Leute sind ganz unterschiedlichen Alters, Levels der Vorbereitung und Nationalitäten (nach Beginn des Krieges in der Ukraine wurde das Ensemble durch Ukrainer ergänzt, die in unsere Stadt gekommen waren). Sie alle vereint die Liebe zum Gesang. Profi musikerin ist nur ihre Leiterin Eranui Stepanjan – Dirigentin, Pianistin, Komponistin und Arrangeurin. Die unermüdlich Vollkommenheit anstrebende Perfektionistin Eranui tankt alle mit ihrer Energie auf und führt sie zu weiterem Erfolg.
Ihr Wunsch ist es, dass mehr junge und männliche Stimmen in die Gruppe kommen, was ihren Klang verbessern wird. Ihr Traum: nicht nur das erreichte Level zu halten, sondern ständig den Maßstab zu erhöhen, und außerdem eine CD mit der Gruppe  aufzunehmen.
Gratulation zum kreativen Erfolg, Leute! Mögen alle eure Pläne und Wünsche in Erfüllung gehen!
Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Tre punkt Synagoge 2024

Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen stellt das Kulturprogramm 2024 vor

Vor kurzem wurde das musikalische Programm „Treffpunkt Synagoge 2024“ der Öff entlichkeit vorgestellt. Bereits seit über dreizehn Jahren führt unsere Gemeinde jährlich solche Treff en durch, die sich einer unveränderten Beliebtheit erfreuen. Sie sind ein  Bestandteil des kulturellen Lebens unserer Stadt.

„Wir sind weder Promoter noch eine Konzert-Agentur“, unterstreicht der Vorsitzende der Gemeinde Dr. Gutkin, „Wir wollen die jüdische Kultur in ihrer Vielfalt vorstellen, die breite Öffentlichkeit mit ihr bekannt machen, unsere Offenheit und Bereitschaft zur  Kooperation zeigen.“
Wie immer ist das Programm dieses Jahres sehr vielfältig und reichhaltig. Es umfasst zahlreiche Stile und ist so zusammengesetzt, dass das Publikum eine Vorstellung von der Vielseitigkeit der Klezmer-Musik bekommen kann – die Stile reichen von der  klassischen Musik über Folklore bis hin zum Jazz.
Die Durchführung der Konzerte wurden dank der Partnerschaft und Unterstützung durch Freunde und Sponsoren sowie durch die politischen Parteien des Bezirks möglich.
„Wir sind sehr an der kulturellen Vielseitigkeit unserer Stadt interessiert“, betont Herr Tesche, Bürgermeister Recklinghausens. „Eine Reihe jüdischer Konzerte ist ein Teil unserer Kultur. Als Bürgermeister möchte ich besonders meine ständige Verbindung mit der Gemeinde unserer Stadt betonen.“
Die Konzerte  finden wie immer an der folgenden
Adresse statt:
Am Polizeipräsidium 3, 45657 Recklinghausen.
Der Eintritt ist kostenlos. Wir laden alle Interessierten ein.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen

Purim verändert die Welt

Fragt jeden beliebigen Juden: „Welcher ist der fröhlichste jüdische Feiertag?“ Natürlich ist es Purim! Karnevalskostüme, Ratschen, Krachmacher, Ballons, eine große gemeinsame Mahlzeit, Scherze, Lachen, viel Alkohol.

Wobei das Hauptziel dieses Festes ist, die Juden an den Sieg über den Feind zu erinnern, der das ganze Volk ausrotten wollte. Haman hatte das Los (Pur) geworfen und der Todestag wurde vorherbestimmt. Indem sie an den Feierlichkeiten von Achaschverosch teilgenommen hatten, hatten die Juden G”ttes Gebote gebrochen und sich von ihm entfernt. Der Gerechte Mordechai rief die Menschen dazu auf, sich zu vereinigen und die Nichteinhaltung der Kaschrut zu bereuen, drei Tage lang zu fasten. Die weise und mutige Esther schaff te es, ein solches Fest auszurichten, das den alten Achaschverosch begeisterte, und das Ergebnis war das Wunder der Rettung. Die furchtbare Katastrophe, welche auf die Menschen einstürzen sollte, verwandelte sich in Sieg und Freude. Purim veränderte die Welt zum Besseren. Wie es in der Esther-Rolle geschrieben steht: „Und ihr werdet euch an diese Tage erinnern und sie von Generation zu Generation feiern … Und die Erinnerung an sie wird bei euren Nachkommen nicht vergessen sein.“
Die vier wichtigsten Gebote an diesem Feiertag sind: Die Esther-Rolle lesen, das Festmahl, Geschenke an Freunde und an die Armen.
Am wichtigsten ist es, mit dem Glauben an G“tt zu leben, niemals die wundersame Rettung vor dem Tod zu vergessen, eine brüderliche Sorge zu zeigen und miteinander eng und tief verbunden zu sein.
Die Mitglieder und Besucher der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen befolgten die Traditionen des Festes. Am Abend des 27. März hatten sich alle in der Synagoge für ein Kostümfest zu Purim versammelt. Die Gäste hörten die Lesung der Esther-Rolle, welche durch einen unglaublichen Lärm der Ratschen, Pfeifen und Trampeln der Füße unterbrochen wurde, wenn der Name Hamans genannt wurde. Der Abend wurde durch das fröhliche Programm „PurimSpiel“ fortgesetzt. In diesem Jahr war es nicht ganz gewöhnlich. Extra dafür hatte unsere Regisseurin und Drehbuchautorin Tatjana Matlina ein originelles Szenario nach den Motiven des Zeichentrickfi lms „Die Bremer Stadtmusikanten“ geschrieben. Die Zuschauer sahen nicht nur die lange bekannten Helden des Purim-Festes in einer neuen Funktion. Zu ihnen gesellten sich nach dem Willen der Autorin auch andere fröhliche und sehr musikalische Charaktere. Man muss anmerken, dass genau diese Geschichte am 24. März bei dem Kinderfest durch die Teilnehmer der Theatergruppe für Kinder aufgeführt wurde. Und bei der Auff ührung für Erwachsene waren ihre Eltern und Großeltern involviert. Man kann sagen, es war eine Weitergabe der Tradition des Festes „von Generation zur Generation“. Außerdem wurde eine tagesaktuelle humoristische Szene aus dem Alltag der Gemeinde gezeigt (Autor: Elena Blaiwas), die vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurde. Bei den Feierlichkeiten wurden auch die von Margarita Bondarenko inszenierten mitreißenden jüdische Tänze aufgeführt. Bei dem Kinderfest wurde ein Tanzprogramm einer Gruppe unter der Leitung von Viktoria Umanzeva gezeigt. Die Besucher nahmen mit Begeisterung an dem großen Festmahl mit einer Vielzahl köstlicher Speisen teil.

Ich möchte der Leitung der Gemeinde, ihrem Vorsitzenden Dr. Mark Gutkin, für den großartig organisierten Abend danken, sowie allen, die an der Vorbereitung, Durchführung und dem Schutz des Festes beteiligt waren.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Alexander Libkin

Ein Solidaritätsbesuch

v.l.n.r.: Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags; Dr. Mark Gutkin, Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen; Frank Schwabe, Bundestagsabgeordnete aus dem Bezirk Recklinghausen

Auf die Einladung des Bundestagsabgeordneten aus dem Bezirk Recklinghausen Frank Schwabe hin hat am 7. Mai 2024 der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags Michael Roth unsere Stadt besucht.

Sein kleines Programm umfasste auch das Tre en mit der jüdischen kulturellen Gemeinschaft. Wie sicher fühlen sich Juden des Bezirks und des Landes Nordrhein-Westfalen? Wie kann man Menschen unterschiedlicher religiöser Konfessionen miteinander verbinden? Diese Themen, wie auch andere aktuelle Fragen, wurden bei dem Gespräch mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Dr. Mark Gutkin während des Empfangs des Abgeordneten in der Synagoge erörtert.
Wie alle Besucher der Gemeinde ging er an zwei Polizeiwagen vorbei, die seit Beginn der jüngsten Ereignisse in Israel hier ständig im Einsatz sind. Was auch zur Antwort auf eine der Fragen wurde, welche ihn interessierten. Auch die Tatsache, dass einige Tage  später (am 11. Mai 2024) in der Stadt, wo gerade ein Kunstfestival stattfand, eine offi ziell genehmigte pro-palästinensische Demonstration stattfi nden sollte, trug dazu bei, dass sich die jüdische Gemeinschaft nicht sicher fühlt.
„Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist. Ich schäme mich dafür, dass unsere jüdischen Mitbürger sich nicht mehr sicher fühlen.“
„Das Gefühl der Unsicherheit wuchs mit Beginn des Krieges im Nahen Osten. G“tt sei Dank gab es noch keine Angri e auf Juden im Bezirk. Doch unser Leben vergeht im Moment isoliert. Wir leben hier unter Bewachung wie auf einer eigenen Insel. Das ist nicht normal. So sollte es nicht sein“, unterstrich Dr. Gutkin.
Seit fast sieben Monaten halten die Fanatiker der HAMAS 132 Menschen als Geiseln fest, darunter Frauen, Kinder und alte Leute. Ein Teil von ihnen wurde bereits gnadenlos ermordet. Die anderen leiden unter Folter und Erniedrigung. Offi ziell hat HAMAS in dieser Zeit bereits mehr als 1.200 Menschen getötet. Die Zahl der Opfer wächst jeden Tag. Die Welt hat überhaupt nichts aus dem Holocaust gelernt. Der Antisemitismus hat das höchste Niveau in den östlichen Ländern erreicht. Sein Einfl uss macht sich auch in  ganz Europa breit. Es ist naiv, die Proteste mit plötzlich erwachtem Mitleid mit den Opfern unter der friedlichen Bevölkerung Gazas zu erklären. Das, was die Hamas veranstaltet, ist nicht der Schutz irgendjemandes Freiheit. Denn es protestierte niemand, als 600.000 Menschen in Syrien ermordet wurden (200.000 von ihnen waren ebendiese Palästinenser). Heute sterben im Sudan dutzende Male mehr Menschen als im Gaza. Und was ist mit dem endlosen Terror der Hisbollah? Die Ermordung von Uiguren in  China, der Paschtunen in Pakistan, der Ukrainer in ihrem eigenen Land? Niemand veranstaltete Demonstrationen mit der Forderung eines Boykotts Chinas, Irans und Russlands. Wie lassen sich die „doppelten Standards“ erklären? Das einzige Ziel ist die  Vernichtung Israels und aller Juden – durch den muffi gen Antisemitismus des Jahrhunderts.
„Antisemitismus zersetzt schon lange die Gesellschaft, und dieser Verderbnis hat nun sein Zentrum berührt. Ich möchte betonen, dass ich in diesem Kampf auf Israels Seite stehe. Das soll nicht passieren“, versicherte Herr Roth.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Nicola Tanski

Koffermarsch

Gegen Antisemitismus und Extremismus

Der 27. Januar gilt als internationaler Holocaust-Gedenktag. Es ist jener Tag, an welchem das von den Nazis errichtete Konzentra-tionslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit wurde.

UN-Generalsekretär Kofi Annan nannte dieses Datum „eine wichtige Mahnung an die univer-selle Lektion des Holocaust – ein solcher Horror darf nie wieder zugelassen werden. Es obliegt uns als Nachfolgegene-ration die Erinnerung wie eine Fackel wachzuhalten und unser eigenes Leben in ihrem Licht zu führen.“

„Die Erinnerung ist das einzige Mittel, welches die Menschen dazu bringt, über ihre Zukunft nach-zudenken“. Ich weiß nicht mehr, wo ich das gelesen habe und ich weiß auch nicht, welcher Autor diese Worte niedergeschrieben hat. Es war aber genau dieser Satz, der mir in den Sinn kam, als ich, wie viele andere, am 26. Januar dieses Jahres an dem Gedenk-marsch teilnahm. Der internationale Holocaust-Gedenktag hat für die Einwohner unserer Stadt und für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde eine besondere Bedeutung. Just an diesem Tag im Jahre 1942 wurden 250 Juden in das Rigaer Ghetto deportiert. Nur 16 von ihnen über-lebten. Bereits zum zweiten Mal wird dieser Marsch auf Initiative von Vertretern der evangelischen und katholischen Konfessionen in der Stadt organisiert. In diesem Jahr wurde dieser Streifzug auf Anregung des dortigen Bürgermeisters Christoph Tesche in einem erweiterten Format durchgeführt. Neben Superintendentin Saskia Karpenstein und Propst Karl Kemper, nahm auch Herr Erginç Ergün stellvertretend für die muslimische

Glaubensgemeinschaft an der Veranstaltung teil. Auf den Stufen des Rathauses stehend erklärte Bürgermeister Tesche, dass der Marsch dazu diene, das Gedenken an die Opfer zu bewahren und das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, noch einmal in Erinnerung zu rufen. Er zeigte sich auch besorgt über die aktuellen Geschehnisse im Land und zitierte Armin Laschet, der noch im Jahr 2018 sagte: „Die Juden haben die Koffer noch nicht gepackt, aber sie haben sie schon mal vom Dachboden geholt.“

Etwa 600 Menschen versammelten sich auf dem Platz vor dem Rathaus, um „Nein“ zu Antisemitismus und Extremismus zu sagen. Menschen trugen Koffer und präsentierten Schilder mit der Aufschrift „We remember“ und zogen schließlich durch die Straßen der Innenstadt hin zur Synagoge. Dort im Gebetssaal, wo die Namen von zweihundertfünfzig seinerzeit deportierten Gemeindemitgliedern auf den Säulen eingraviert wurden, fand ein gemeinsames interreligiöses Gebet statt.

Vor dem Gebet richtete der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Herr Mark Gutkin, ein Wort an die Zuhörer. Er dankte den Vertretern der christlichen Kirchen für die Initiative, die Aktion „We remember“ in einem solchen Format durchführen zu können und verband damit die Hoffnung, dass diese Veranstaltung ein weiterer wichtiger Schritt bei der Entwicklung des historischen Gedenkens sein wird – für Vergangenheitsbewältigung und für die Zukunft gleichermaßen. Angeregt wurde auch, einen Gedenkkomplex „Memory Station“ als Erinnerung an die Deportation jüdischer Mitbürger im Bereich des ehemaligen Konzentrationslagers aufzustellen. Dazu Gutkin: „Wir hoffen, dass dieses Projekt so bald wie möglich verwirklicht wird. Zumal all diese Aktivitäten gerade jetzt, in einer schwierigen Zeit für die jüdische Gemeinschaft, sehr wichtig sind.“ Gleichzeitig zitierte er Innenministerin Nancy Faeser mit folgenden Worten: „Seit Gründung der Bundesrepublik stand das jüdische

Leben in unserem Land keiner so großen Bedrohung gegenüber, wie jetzt.“ Alle in Deutschland lebenden jüdischen Menschen sind dementsprechend besorgt ob einer unheilvollen Zukunft. Etwas optimistischer klangen da schon die Worte von Kantor Isaac Tourgman, als er auf das vom Bürgermeister erwähnte Laschet-Zitat erwiderte: „Wir packen unsere Koffer noch nicht.“

Hoffen und glauben wir, dass es nicht erforderlich sein wird.

Denn, wie Igor Guberman es zutreffend ausdrückte:

Wo Lügen und Selbstlügen gelten –

Gedächtnis verlässt den Verstand,

Geschichte umkreist große Welten

Blut – Schlamm – und im Dunkeln verschwand.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen

Foto: Ralf Wiethaup, Vadim Abonosimov

Mitarbeitende der Synagoge und Freundeskreis planen gemeinsame Aktivitäten

Auf Einladung des Freundeskreises der Jüdischen Kultusgemeinde Recklinghausen traf sich der Vorstand mit Mitarbeitenden der Synagoge. Das Treff en galt zunächst dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Austausch von Informationen über die jeweiligen Aktivitäten.

Dabei waren die Vorstandsmitglieder des Freundeskreises sehr angetan von der Vielzahl der Aktivitäten, die innerhalb der Synagoge und den angrenzenden Räumlichkeiten statt nden. So gibt es neben Sprachunterricht für zugewanderte jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angebote für Kinder und Jugendliche, einen großen Frauenverein u. v. m. Mit großer Betroff enheit mussten die Freundeskreismitglieder zur Kenntnis nehmen, dass sich auch in Recklinghausen die Sicherheitslage für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger verschlechtert hat.
Seit dem Hamas-Anschlag vom 7. Oktober 2023 haben sich die Bedingungen in NRW für jüdisches Leben mit allen Aktivitäten durch strenge Aufl agen sowohl im Sicherheitsbereich (24/7 Polizeischutz) als auch in Bezug auf Bauvorschriften (mind. 2.50 m hohe Abgrenzungen um Räumlichkeiten) verschärft. Dieses hat direkte, einschränkende Auswirkungen auf die durchzuführenden Veranstaltungen oder anzumietenden Räume. „Gerade diese Lage zeigt“, so der Vorsitzende des Freundeskreises Jochen Welt, „wie notwendig auch die Arbeit eines Freundeskreises der Jüdischen Gemeinde ist. Diese ist ein wichtiger Teil unserer Stadt und unseres Kreises. Und es ist wichtig, dass viele Freunde an ihrer Seite stehen. Das kann man auch durch eine Mitgliedschaft im  Freundeskreis ausdrücken.“ Wer Mitglied des Freundeskreises werden will, der kann unter info@freundeskreis jkgre.de einen Aufnahmeantrag stellen.
Für die Zukunft haben die Mitarbeitenden der Synagoge und der Freundeskreis auch gemeinsame Aktivitäten verabredet. So ist für den Spätsommer ein gemeinsames Fest im Umfeld der Synagoge geplant.

Jochen Welt, Vorsitzender des Freundeskreises der Jüdischen Kultusgemeinde Recklinghausen, Foto: Alexandr Libkin

Antisemitismus-Beauftragter besucht Projekte im Wahlkreis von Frank Schwabe

Gegen Antisemitismus und Extremismus

Kantor Isaac Tourgman, Vera Klocke-Eickmann, Freundeskreis der Jüdischen Gemeinde, Jochen Welt, Vorsitzender des Freundeskreises der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen, Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Vorsitzender der Jüdische Kultusgemeinde Recklinghausen Dr. Mark Gutkin, Frank Schwabe, Beauftragter der Bundesregierung für Religions-und Weltanschauungsfreiheit.

Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, besuchte jetzt auf Einladung des heimischen Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe (SPD) mehrere Orte in Recklinghausen und Waltrop.

Zunächst stand ein Besuch bei der Jüdischen Kultusgemeinde in Recklinghausen auf dem Programm. Dort trafen Schwabe und Klein den Vorsitzenden Dr. Mark Gutkin und Kantor Isaac Tourgman. Bei dem Austausch, an dem auch Jochen Welt und Vera Klocke-Eickmann für den Freundeskreis der Jüdischen Gemeinde teilnahmen, ging es um die Frage, wie insbesondere junge Menschen sensibilisiert werden können, um sich gegen Antisemitismus zu engagieren.

Frank Cerny, SPD Recklinghausen

Foto: Alexandr Libkin

«Am Nullpunkt» Präsentation und lebhafter Austausch

Putins Krieg gegen die Ukraine

Eugen Gorodetsky (von l.) und Natasha Vlaschenko (v. r.)

Am 25. Februar 2024 stellten Natasha Vlaschenko und Eugen Gorodetsky ihr Buch «Am Nullpunkt» in der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen vor.

Diese Publikation ist ein belletristisches und journalistisches Werk – eine Mischung aus Prosa und Poesie, ein Gespräch in Briefen zwischen zwei Menschen während des Ukraine-Krieges. Zwei alte

Bekannte, die aktuell in verschiedenen Ländern leben, trafen sich in den ersten Tagen der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine zufällig auf einer Internetplattform. Dort begann der Dialog. In siebzehn folgenden Briefen wurden wichtige Themen angesprochen: Zerstörung von Beziehungen während des Krieges, Ängste und Verzweiflung, Mitgefühl und Verrat, vermutlich unvermeidlich schwere Verluste sowie unsichere Zukunftsaussichten. Wie kann man es aushalten ohne sich selbst zu verlieren, ohne in eine Depression zu verfallen? Wie kann man das Selbstwertgefühl festigen und dabei noch andere unterstützen? Diese und weitere Fragen wurden von den Autoren und ihren Lesern lebhaft diskutiert. Es war eine besondere Begegnung und ein intensiver Gedankenaustausch, beides brauchen wir jetzt so dringend. Und: trotz der schwierigen Thematik fanden die Teilnehmer eine Kommunikationsebene mit einer unterhaltsamen, warmherzigen und durchaus freundlichen Gesprächsatmosphäre. Die Einnahmen dieses Abends wurden zugunsten zweier Projekte gespendet. Bedacht wurden: «Ungebrochen“ in Lviv und Klawdijewo-Bibliothek – eine Zweigstelle der öffentlichen Bibliothek Nemisheivska in der Siedlungsratsgemeinde Klawdijewo-Tarassowe, Bezirk Butscha, Gebiet Kiew.

Die Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen bedankt sich bei der Zeitschrift Jüdisches Echo  estfalen für die werbende Unterstützung dieser Wohltätigkeitsveranstaltung mittels einer Bekanntmachung.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen

Foto: Alexander Libkin

Unsere „Serpentine“

Unsere Kindertanzgruppe „Serpentine“ in der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen verortet sich gründungsmäßig etwa im November 2004, obwohl die Geschichte ihres Bestehens bereits länger zurückliegt. Die Gründerin und ständige Leiterin der ruppe, Victoria Umantseva, übersiedelte 2003 aus Charkiw nach Deutschland und kümmerte sich fortan – während sie noch in einem Übergangsheim lebte – um die hiesigen Kinder und begann mit ihnen Tänze einzuüben. Zunächst fand der Unterricht in den Räumen der Caritas statt. Erst später dann stellte unsere Gemeinde einen freien Raum zur Verfügung, in dem nun die Proben stattfi nden konnten. Victoria brachte bereits viel Unterrichtserfahrung mit. Mehr als dreißig Jahre lang hatte sie in verschiedenen  indereinrichtungen gearbeitet, nicht nur mit Tanzgruppen, sondern auch als Lehrerin und Erzieherin im Charkiwer Bildungskomplex „Lyceum Shaalavim“. Damals, vor fast 20 Jahren, bestand die Gruppe nur aus Mädchen unterschiedlichen Alters und ungleichem Kenntnisstand. Die Übungsstunden begannen mit einem elementaren Aufwärmprogramm. Anschließend folgte die sogenannte Parterre-Gymnastik: Dehnung, Kraftübungen für Arme und Beine. Nach und nach wurden dann einige Übungen als  Elemente des Tanzes eingesetzt.

Der Altersschnitt der Kinder lag zwischen sechs bis vierzehn Jahre. Allerdings erfordert die Arbeit mit Kindern gemischten Alters verschiedene Trainingsmethoden, so dass eine Abteilung für die Jüngeren von 6 bis 8 Jahren und eine für die Älteren von 9 bis 14 Jahren eingerichtet wurde (heute gibt es zwei Gruppen: von 5 bis 7 und von 8 bis 12 Jahren). Das Tanzrepertoire umfasst in erster Linie jüdische Tänze, aber auch Tänze sämtlicher Weltvölker bis hin zu modernen Tänzen. „Bevor ich mit der Choreographie eines Tanzes beginne, wähle ich die Musik aus. Dann stelle ich mir ein Bild des Tanzes vor und erst dann fange ich an, ihn einzustudieren“, resümiert Frau Umantseva. Nach und nach änderte sich die Zusammensetzung von „Serpentine“, Jungen kamen hinzu, neue Tanzprogramme entstanden. Einen besonderen Platz nimmt das Erlernen der jüdischen Volkstänze und das Kennenlernen der jüdischen Feiertage ein. Eine der Aufgaben der Gruppe besteht darin, Bräuche, Musik und Choreographie am Beispiel des Lebens in Israel zu studieren. Das ist gerade jetzt wichtig, weil gefl üchtete Kinder aus der Ukraine dazu kamen. Unsere Gemeinde nahm sie wie ihre eigenen Kinder auf. Aber viele von ihnen wussten eben nichts über jüdische Traditionen, Feiertage, Musik und Tänze.

Wenn ich nun über diese kreative Gruppe spreche, möchte ich hier auch die Rolle der Eltern nicht unerwähnt lassen, denn ohne deren Hilfe wäre es sehr schwierig, die Aufgaben gut koordiniert und präzise erfüllen zu können. Schließlich müssen für eine  Aufführung oft zwei- oder dreimal die Kostüme gewechselt werden und das können unsere Künstler, vor allem die der jüngeren Gruppe, natürlich nicht allein bewältigen. Eines der Probleme war und bleibt die Kostümauswahl. Das Kollektiv verfügt nur über  egrenzte finanzielle Mittel, so dass Victoria die Kostüme oft selbst nähen muss, wobei jedes Kostüm vielfach aus drei oder vier separaten Teilen besteht. Nur manchmal gelingt es, genähte und gekaufte Kleidungsstücke zu kombinieren.
Die traditionellen jährlichen Auftritte der Tanzgruppen fi nden an den Feiertagen Chanukka und Purim sowie anlässlich der Abschlussveranstaltung der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft, dem Abrahamsfest, im Saal des Rathauses der Stadt Marl statt. Auch auf den Straßenfesten in Recklinghausen hat die Tanzgruppe schon mehrfach mitgewirkt. Ein neues Programm für das Purimfest ist bereits in Planung. Die jungen Talente werden als Zirkuskünstler auftreten: Clowns, Akrobaten und Zauberer, die das Publikum zweifellos begeistern werden.
Zu unseren Auff ührungen laden wir unbedingt die Selbsthilfegruppe „Regenbogen“ für Menschen mit Behinderungen ein. Sie sind sehr dankbare Zuschauer. Und wir wiederum freuen uns, dass wir sie mit unserer Darbietung erfreuen dürfen. Wie jedes  ollektiv  haben auch wir unsere eigenen internen Probleme. Unsere Kinder sind nicht nur unterschiedlich alt, sondern jedes hat seinen eigenen Charakter und ist nicht immer folgsam. Wir versuchen, uns aneinander zu gewöhnen, um keine Konfl iktsituationen zu schaffen. Wir haben uns sogar einen Slogan ausgedacht: „Wenn du jemanden beleidigst, auch wenn es unbeabsichtigt ist, entschuldige dich dreimal“, so die Mentorin zu ihren Arbeitsmethoden.
In den fast zwanzig Arbeitsjahren des Teams hat sich die Zusammensetzung immer wieder geändert. Kinder wuchsen heran, neue traten an ihre Stelle. In dieser Zeit haben viele Mädchen bereits geheiratet und sind Mütter geworden. Es gibt Familien, in denen zwei Generationen in „Serpentine“ getanzt haben und jetzt tanzen schon die Vertreter der dritten Generation dort. Die Kinder werden erwachsen und das ist wunderbar. Frau Umantseva und ihre Mitstreiter haben viele neue kreative Pläne. Wir hoff en, dass sie  alle in Erfüllung gehen werden.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Alexander Libkin

Hagada. Alltag und Feiertage

Das Zentrum für Kinder und Jugendliche der jüdischen Gemeinde Recklinghausen heißt „Hagada“. Etwa 20 Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis achtzehn Jahren kommen sonntags hierher. Tatsächlich sind es zwei Untergruppen, die nach Alter  eingeteilt sind: die jüngere und die ältere. Die Aufgabe, welche die Gemeinde sich selbst auferlegt hat, ist die Erziehung von vielseitigen jungen Leuten im Geiste der jüdischen Traditionen. Das Wort Hagada ( הגדה ) stammt vom hebräischen Verb „agged“ (erzählen) ab.

So heißt ein Teil der rabbinischen Literatur, vor allem des Talmuds, und berührt alle Bereiche des Lebens: Legenden und Geschichten über biblische Figuren, messianische Diskurse, Informationen über Astrologie, Mathematik, Naturwissenschaften, Medizin,  Rhetorik, Poesie, Geschichte und Mystizismus. Die Teilnehmer beider Untergruppen bekommen hier Wissen über die eigene Umwelt, über unterschiedliche Abschnitte der Weltgeschichte aus der Sicht des Judentums; sie nehmen aktiv teil an Veranstaltungen  der Gemeinde, an Gebeten und Festtagen.

Wenn der Unterricht der Jüngeren vor allem in spielerischer Form (Bewegungsspiele und interaktive Spiele und Wettbewerbe) stattfi ndet, dann sind es bei den Älteren Vorträge und Diskussionen zu unterschiedlichen Themen sowie praktischer Unterricht.
So kommen zum Beispiel schon seit einigen Jahren im Rahmen des Programms „Shlichot“ (Gesandte) junge Frauen aus Israel für ein Jahr in unsere Region, die mithelfen, jüdische Kinder im Sinne der nationalen Traditionen zu erziehen. Im laufenden Jahr haben Hodaya und Shiraz ein Programm über die Bedeutung und Traditionen bei der Durchführung des Lag baOmer-Festes vorbereitet.
Zusammen mit den Jugendlichen einiger weiterer Gemeinden (Bochum, Krefeld, Dortmund, Düsseldorf, Solingen, Wuppertal) haben unsere Kids die Havdala (Trennung) durchgeführt – eine spezielle Zeremonie der „Trennung“ des Shabbat (oder eines Festes) vom Alltag, die von der Lesung eines kurzen liturgischen Textes und symbolischen Handlungen begleitet wird.
Auch wurde mit Hilfe des Kantors der Gemeinde, Isaac Tourgman, ein praktischer Unterricht über die Traditionen des Pessach-Festes durchgeführt. Die Regeln für den Ablauf des Seders wurden vor vielen Jahrhunderten festgelegt. Jede Speise auf dem Tisch  hat ihre symbolische Bedeutung. Wie führt man den Pessach-Abend richtig durch? Welche Speisen müssen unbedingt auf dem Tisch stehen? Diese und viele weitere Fragen wurden an diesem Abend beantwortet.
„Wir wollen solchen Unterricht zur Tradition machen“, sagt der Leiter von „Hagada“ Georgij Shekun. „Wir planen weitere Projekte, die mit weiterführender Lehre der Religion und Traditionen des Judentums zusammenhängen, sowie mit dem Erlernen von  Basiswissen der hebräischen Sprache. Wie immer planen wir am deutschlandweiten musikalischen Wettbewerb der jüdischen Gemeinden Jewrovision teilzunehmen. Und natürlich ist es sehr wichtig, im Kollektiv Beziehungen zu pfl egen, die auf gegenseitigem Respekt, Freundschaft, Vertrauen und Zusammenarbeit basieren – der echte Geist der jüdischen Gemeinde, der Diaspora, welcher für die Entwicklung unserer Identität und Gemeinschaft notwendig ist.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Studienreise

Auf Einladung des Freundeskreises der Jüdischen Kultusgemeinde Recklinghausen traf sich der Vorstand mit Mitarbeitenden der Synagoge. Das Tre‹ en galt zunächst dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Austausch von Informationen über die jeweiligen Aktivitäten.

Die Jüdische Gemeinde Recklinghausen ist nicht nur eine Gebetsstätte, ein Ort für Festlichkeiten oder für weitere sonstige Veranstaltungen, nein, vielmehr ist sie ein gemeinsames Zuhause. Unsere Kinder und Enkelkinder nehmen dort die verschiedenen Gruppenangebote wahr und wir selbst genießen das gemeinschaftliche Leben innerhalb der Gemeinde bzw. üben uns in der ehrenamtlichen Tätigkeit. Die Gemeinde selbst bietet für alle Aktiven sicher mehr als 20 Kurse an – Theater, Chor, Malen, Tanz, Sport – eine bunte Vielfalt.
Der dortige Frauenverein, der mehr als 50 Mitglieder zählt, ist äußerst beliebt. Besonders macht ihn, dass neben den Gemeindemitgliedern auch Flüchtlingsfrauen aus der Ukraine aufgenommen wurden, die insbesondere einen Halt und psychologische Unterstützung benötigen. Der Verein besteht seit zwei Jahren und leistet intensive und vielseitige Arbeit. Aufgrund dessen beschloss der Vorstand, die Mitglieder mit interessanten Ausfl ügen zu motivieren. So organisierten wir Ende Januar eine Reise nach Gronau (NRW), wo wir ein großes Gruppenhaus mit LernräuLernräumen und Sporteinrichtungen angemietet hatten. Vorab: die Reise war nicht nur unterhaltsam, sondern auch informativ und lehrreich. Neben dem Frauenverein nahmen ebenfalls Volontäre unserer Telefonseelsorge an der Reise teil. So ergab sich zwangsläufi g eine psychologische Ausrichtung der Seminare. Die Damen wurden in die Arbeit der seelsorgerlichen Beratung am Telefon eingeführt, erlernten Techniken und Methoden zur Lösung von Stress- und Konfl iktsituationen und wurden über die Bedeutung und den Bedarf der ehrenamtlichen Arbeit in Deutschland in Kenntnis gesetzt. Außerdem wurden die Seminare nicht von professionellen Beratern und Psychologen, sondern von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der Telefonseelsorge mit längerer Berufserfahrung durchgeführt. Die Menschen der Hotline verrichten ihren Dienst seit fast 20 Jahren, im nächsten Jahr steht die Jubiläumsfeier an. Die einstigen Volontäre und heutigen Referenten kommen  alle aus sozialen Berufen, fünf Personen sind Diplom-Sozialarbeiter, 9 Personen arbeiten mit Kindern und älteren Menschen.
Auch Spiel, Spaß und Spannung durften nicht zu kurz kommen. Vormittags wurden Gymnastik und Aerobic angeboten. Am Nachmittag sprach dann die Leiterin des Malateliers über Leben und Werke von Wassily Kandinsky und hielt einen Masterkurs im Zeichnen ab. Da Gronau direkt an der Grenze zu den Niederlanden liegt, wurde auch ein Ausfl ug in die niederländische Stadt Enschede organisiert, durchgeführt als interaktives Quizspiel. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen eingeteilt, deren Aufgabe darin bestand, zwölf der dortigen Stadtwahrzeichen per Geolokalisierung zu  nden, deren Fotos über WhatsApp zu posten und zuletzt einen Soundtrack zum historischen Hintergrund des jeweiligen Objektes zu hören. Prämiert wurde wie immer die Schnelligkeit.  Besichtigen durften wir u. a auch die Synagoge von Enschede, welche als eine der schönsten des Landes gilt. Natürlich haben wir anschließend koscheren Fisch gegessen. Immerhin hielten wir uns doch in Holland auf. Bei den Gruppenspielen am Abend hatten  wir dann gemeinsam viel Spaß und Freude.
Vermutlich wird dieser Ausfl ug bei den Teilnehmerinnen noch lange nachwirken. Bemerkenswert: Es haben sich nach der Reise 19 neue Freiwillige für die Arbeit im Telefonseelsorge-Team angemeldet. Die Ausbildung beginnt schon Ende Februar.

Sergej Stachevski, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Die Geschichte eines Märchens

Viele von uns verfolgen sicher aufmerksam die Nachrichtenmeldungen diverser Medien, vielfach traurig und erschreckend, öfter beunruhigend. Sicher, wir können uns nicht von dem abwenden, was jetzt geschieht, aber wir müssen Kraft und Wege fi nden, auch unangenehme Ereignisse zu verarbeiten, um weiter zu bestehen. Daneben benötigen wir aber auch gute, friedliche und hoff nungsvolle Geschehnisse, nicht unbedingt im großen Format, die wir dann doch gerne mit allen teilen wollen.

Am 14. Januar dieses Jahres führte die Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen ein Theaterstück nach dem Märchen von A. Tolstoi mit dem Titel „Die Abenteuer des Buratino“ auf (sozusagen das perfekte russische Pendant zu Pinocchio). Als Darsteller  wurden ältere Kinder aus unserer Theatergruppe ausgewählt. Das Projekt erweckte zunächst den Anschein eines gewöhnlich lokalen Ereignisses, nicht sonderlich spektakulär. Tatsächlich stellte sich heraus – es gibt doch etwas nicht Alltägliches. Nicht nur, dass es sich um die dritte Auff ührung von „Buratino“ handelte, mit der dritten Besetzung, die von unserer fest etablierten Regisseurin Tatjana Matlina inszeniert wurde. Darüber hinaus ging es eben nicht um die Produktion einer professionellen Theatertruppe. Aber das vergas man beim Zuschauen. Einige der Kinder besuchen die Gruppe schon seit mehreren Jahren, wiederum andere sind ukrainischer Herkunft, die dem Krieg erst vor kurzem entfl iehen konnten. Aber zusammen sind sie alle ein vereintes, talentiertes Team, das ein Märchen auf die Bühne bringt. Als Tatjana Matlina vor sechzehn Jahren zum ersten Mal das Drehbuch schrieb und beschloss, dieses Stück aufzuführen, nahmen sowohl Erwachsene als auch der Nachwuchs daran teil. Zunächst dachte man, dass Kinder keine „erwachsenen“ Rollen spielen können. Obschon nunmehr Karabas von der elfj ährigen Lisa Kobolotzkaya anstelle ihres Großvaters Alexander Matlin gespielt wird, so wirkt dieser Bösewicht auf der Bühne nun nicht weniger glaubhaft – dafür aber  eher sympathisch – eine erkennbare wie auch erfreuliche Kontinuität zwischen den einzelnen Generationen.
Als ich meine dreijährige Enkelin Sofi a fragte, was ihr am besten gefallen habe, antwortete sie in ihrer natürlich kindlichen Art: „Wie schnell der Vorhang lief…“, gemeint: wie schnell und präzise sich das Bühnenbild änderte. Genau das hat mich auch sehr beeindruckt. Die Arbeit unserer langjährigen „Bühnenarbeiter“ und Dekorateure Anastasia und Sergej Garder kann man zweifelsohne als virtuos bezeichnen! Alexander Matlin ist seit vielen Jahren für die musikalische und technische Ausgestaltung sämtlicher Vorstellungen verantwortlich. Das Ehepaar Matlin arbeitet als dauerhaft kreatives Bündnis, welches sich perfekt und erfolgreich ergänzt. Und was für prachtvolle Kostüme Valentina Kulikova mit ihren goldenen Händen geschaff en hat! Jedes ihrer Kleidungsstücke ist nicht nur ein herrlicher ästhetischer Anblick. Jedes Einzelne spiegelt das Ebenbild der jeweiligen Figur. Das Bühnenwerk der jungen Schauspieler traf auf Bewunderung und Beifall. Zum ersten Mal seit dem Bestehen der Theatergruppe haben derer zwei live auf der Bühne gesungen: Anastasia Kulikova und Jan Schlüter, tosender Applaus war wohlverdient. Jeder Darsteller war auf seine persönliche Weise schön und individuell. Der schaurige, aber charmante Karabas, die süße Malvina, der verliebte Pierrot, der hinterlistige Duremar, der treue Artemon, der strenge Polizist, der romantische Papa Carlo – sie alle spielten mit Inspiration und vollem Einsatz. Das wunderbare Duett der bezaubernden Füchsin Alice und des lustigen Katers Basilio ist eine Entdeckung der Regisseurin und ein kreativer Erfolg der Kinder.
Einige der Zuschauer konnten nicht glauben, dass die Figur der Alice von einem elfj ährigen Mädchen gespielt wurde. Die Hauptlast der Auff ührung lag natürlich beim kleinen Darsteller von Buratino, Andrej Pawljak. Er hat sich körperlich und seelisch so sehr verausgabt, dass er nach der Schlussszene einfach kraftlos auf den Boden fi el. Unterrichtet wird diese Theatergruppe immer sonntags um 10 Uhr. An seinem verdienten freien Tag nicht im Bett zu liegen, sondern früh aufzustehen, sein Kind (und bei manchen sogar zwei) vorzubereiten, um zur Probe zu fahren – das ist echte Basisarbeit der Eltern, welche Respekt und Dankbarkeit verdient. Tatjana Matlina wird nicht müde darüber zu sprechen. In all den sechzehn Jahren ist ihr jedes Kind ans Herz gewachsen, sozusagen ein inspirativer Baustein ihrer Arbeit geworden. Und sie alle sind ein Teil unserer besseren, friedlichen und mit Sicherheit strahlenden Zukunft: Buratino – Andrej Pawljak Karabas – Lisa Kobolotzkaya. Papa Carlo – Kirill Bykov Malvina – Laura Garder Pierrot– Jan Schlüter Duremar – Jascha Nikolaj Füchsin Alice – Alesya Nikolai Kater Basilio – Grischa Kosinsky Schildkröte Tortilla – Anastasia Kulikova Artemon – Katya Belitzkaya Polizist – Dascha Sendetzkaya

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Würdigung der Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft

Überreichung der Ehrenpreis an Dr. Mark Gutkin, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen durch Rajko Kravanja – Bürgermeister der Stadt Castrop-Rauxel und Michael Breilmann – Bundestagsabgeordneter

Zum diesjährigen Jahresempfang der Gemeinde Castrop-Rauxel am 17. Februar 2024 waren über 450 Gäste eingeladen. Seit fast zwanzig Jahren richtet die Stadt Castrop-Rauxel diese Empfänge jährlich aus. Ziel dieser Veranstaltung ist es, die Aufmerksamkeit der ևffentlichkeit auf diejenigen zu lenken, die sich in den verschiedenen Lebensbereichen der Stadt und des Landes Nordrhein-Westfalen aktiv und erfolgreich sozial ehrenamtlich engagieren und entsprechend verdiente Persönlichkeiten dieses Personenkreises auszuzeichnen.

Neben vielen anderen Auszeichnungen wurde in der Kategorie „Gesellschaft und Kultur“ der Ehrenpreis an Dr. Mark Gutkin, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Recklinghausen, verliehen. Überreicht wurde der Preis durch Rajko Kravanja – Bürgermeister der Stadt Castrop-Rauxel und Michael Breilmann – Bundestagsabgeordneter. In seiner Begrüßungsrede wies MdB Breilmann darauf hin, dass Dr. Gutkin für seine fruchtbare – mehr als 18-jährige – Tätigkeit als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde geehrt  wird. „Herr Gutkin hat im Laufe der Jahre viel für die Förderung der Vielfalt jüdischen Lebens getan. Die Bewahrung des kulturellen Erbes und der Erinnerung an das jüdische Leben in unserer Region sowie der friedliche interreligiöse Dialog sind die Grundsätze seiner erfolgreichen Arbeit“, so der Sprecher.
Interviewt von den „Ruhr Nachrichten“ im Anschluss an die beschriebene Veranstaltung, äußerte sich Dr. Gutkin besorgt über die zunehmenden Vorfälle von Antisemitismus und Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland. Die Menschen haben Angst um ihr Leben und um das ihrer Kinder. „In meinem täglichen Leben bin ich ein ganz normaler Mensch. Aber der Streifenwagen der Polizei, der vor der Tür der Gemeinde steht, erinnert mich daran, wer ich bin, wo und in welcher Zeit ich lebe. Es ist gut,  dass die Polizei die Gemeinde schützt. Aber es gibt noch wirksamere Methoden. Zum Beispiel Kinder zum Kampf gegen Antisemitismus zu erziehen. Natürlich gibt es solche Programme. Aber man muss so früh wie möglich mit den Kindern daran arbeiten, schon im Kindergartenalter. Kleine Kinder unterscheiden nicht zwischen Nationalität, Religion und Hautfarbe. Es ist leichter zu erziehen, als umzuerziehen.“
Dies bedeutet, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, und zwar nicht nur in den bereits seit Jahren etablierten Richtungen, sondern auch unter anderen Blickwinkeln und mit neuen Zukunftsplänen.

 

 

 

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen

Den Opfern eine Stimme geben

Erinnerung lebendig gestalten, den Opfern eine Stimme geben, einander begegnen: Projektwoche am Gymnasium Petrinum anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (27.01.2024). Teil 1

Mehr miteinander reden statt übereinander, einander bewusst begegnen, statt sich zu verschließen – diesen Impulsen gingen Schülergruppen verschiedener Projekte im Rahmen der Projekttage am Gymnasium Petrinum in Recklinghausen nach. Dazu waren sie unter anderem am Dienstag, 23. Januar, und am Mittwoch, 24. Januar 2024, zu Gast in der Synagoge der Jüdischen Kultusgemeinde am Polizeipräsidium.

Die Schülerinnen und Schüler wurden dort von Kantor  Isaac Tourgmann herzlich begrüßt und bekamen lebendige Einblicke in das jüdische Leben. Sie lernten bestimmte Speisegesetze, besondere Feiertage und vor allem die Tora kennen. „Es geht in der  Synagoge nicht um Politik, wenn man sich hier triff t. Nein, es geht vielmehr darum, wie man friedlich miteinander lebt“, erläuterte Isaac Tourgmann den Fünft- bis Siebtklässlern, „und das ist doch etwas, was du und ich beide wollen: in Frieden zu leben.“
Andere schulische Projekte widmeten sich dem Gedenken an weitere Opfer des Nationalsozialismus, wie dem jüdischen Petriner Hugo Cohen (Abitur 1897), der sich laut §175 StGB durch seine Homosexualität strafbar gemacht habe, verfolgt und ermordet wurde. Zu seinem Schicksal und zu dem Homosexueller im Ruhrgebiet während der NS-Zeit referierten Dr. Frank Ahland und Manuel Izdepski in der Aula des Petrinum in einem öff entlichen Vortrag. Explizit stammte nämlich aus der Schülerschaft der  unsch, auch weitere Opfergruppen in den Blick zu nehmen und sich über die Forschungsarbeit auf diesem Gebiet zu informieren.
Gleichzeitig forcierten die Projekte für die Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen einen vielfältigen Zugang zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus: In dem Projekt „Wo du gehst und stehst…“ entdeckten geraden die jüngsten Schülerinnen  und Schüler die Menschen hinter den in Recklinghausen verlegten Stolpersteinen. Andere begaben sich auf die Spuren Anne Franks. Musikalisch thematisierte man „Lieder als Verführer“ und warf auch einen Blick auf die Musik der heutigen rechtsextremen  Szene. Kunst und Literatur widmeten sich sogenannten „entarteten“ Werken und schufen eigene kleine Ausstellungen, welche die Abwertung durch die Nationalsozialisten nicht nur infrage, sondern in all ihrer verblendeten Ignoranz manifest bloßstellten. Philosophisch wurde der Würdebegriff als Schutzkonzept für alle Menschen betrachtet und nicht zuletzt ging es in einem Projekt um das Wesen einer Diktatur und den besonderen Wert des Rechtsstaates – gerade in der heutigen Zeit.
Eine der Projektgruppen befasste sich vertiefend mit denSchicksalen vier jüdischer Petriner: Günter Boldes (am Petrinum von April bis Dezember 1925), Oscar Cosmann und Jakob Faßbender (beide Abitur 1903) sowie Hans Aris (Abitur 1936). Zum Abschluss der Projekttage wurden Gedenktafeln für diese ehemaligen Schüler enthüllt, die Opfer von Ausgrenzung, Verfolgung, erzwungener Flucht und Ermordung wurden. Künftig wird diese Erinnerungsstätte auf dem Schulgelände weiteren Opfern aus der Petriner Schulgemeinschaft ein Andenken sein.
Als besonders gewinnbringende und nachhaltige Eindrücke schilderten viele Schülerinnen und Schüler die Begegnungen mit Expertinnen und Experten, welche die Projektgruppen unterstützten, sowie Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens, die  sich mit Schülerinnen und Schülern austauschten, um ihre mitunter bedrückenden Lebens- und Alltagserfahrungen mit ihnen zu teilen. Eine Schülerin aus der Erprobungsstufe bemerkte: „Es war total gut, mal mit einer Person jüdischen Glaubens in Ruhe zu  sprechen. Ich habe so viel Neues erfahren und habe neue Ideen für meine Präsentation bekommen.“
In Auseinandersetzung mit der Entrechtung, Verfolgung und gewalttätigen Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus der Mitte der damaligen Gesellschaft waren für viele der jüngeren Schülerinnen und Schüler die Vorgänge der Ghettoisierung, durch welche  die Nationalsozialisten in abgeriegelten Stadtvierteln bewusst die Verelendung der jüdischen Bevölkerung bis hin zum Tode unter qualvollen Bedingungen wie Hunger und Krankheiten forcierten, ungeheure Schilderungen. Weiterführend erkannten die  Schülerinnen und Schüler, dass auch in ihrer Heimatstadt Recklinghausen, in direkter Nähe zu ihrer Schule, inmitten der Innenstadt, zwei der fünf sog. „Judenhäuser“ festgelegt und mehrere jüdische Familien auf engstem Raum dort eingesperrt wurden, ehe  sie Ende 1942 in das KZ Riga deportiert und ermordet wurden.

Die Fortsetzung lesen Sie in der nächsten Ausgabe des J.E.W. Magazins.
Gesa Sebbel, Christopher Janus, Michael Rembiak, Schulgemeinschaft des Gymnasiums Petrinum.

Foto: Archiv des Gymnasiums Petrinum

BFD-Seminar von der ZWST in der Jüdischen Gemeinde Recklinghausen

Vom 15. bis zum 18. April 2024 fanden in der Jüdischen Gemeinde Recklinghausen inspirierende und lehrreiche Seminare der ZWST e.V. für Bundesfreiwillige aus verschiedenen jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen statt. Teilnehmer aus Essen, Köln, Dortmund, Bochum und natürlich Recklinghausen selbst versammelten sich, um nicht nur gemeinsam zu lernen, sondern auch neue Erfahrungen zu sammeln.

Eine besonders beeindruckende Erfahrung war der Einblick in die Arbeit der Polizei. Die Teilnehmer lernten nicht nur theoretisch, sondern besuchten auch das Polizeipräsidium Recklinghausen, wo sie aus erster Hand erlebten, wie die Polizeiarbeit funktioniert. Diese praktische Erfahrung erweiterte ihr Verständnis für die Rolle der Sicherheitskräfte in der Gesellschaft.

Rabbiner Michail Kogan aus Mönchengladbach bereicherte das Seminar mit seinem einzigartigen Vortrag über Pessach als einen Schlüssel zur jüdischen Identität. Dabei wurde deutlich, wie Tradition und Geschichte die Identität einer Gemeinschaft formen können. Psychologische Themen wie Migration, Verlust, Trauer und Trauma wurden ebenfalls behandelt. Vlad Zaslavskyi aus der Gemeinde Recklinghausen gab Einblicke in die psychologischen Dimensionen dieser Themen.

Ein weiterer Höhepunkt des Seminars war der Vortrag von Politologe Aleksander Friedmann aus Düsseldorf über das politische System in Deutschland sowie die aktuelle Situation in Israel und Europa. Diese Einblicke ermöglichten den Teilnehmern, politische Zusammenhänge besser zu verstehen und zu diskutieren.

Während eines Ausflugs mit Aleksandra Kireewa und Elvira Scherman durch die schönen Städte Recklinghausen und Herten hatten die Teilnehmer außerdem die Gelegenheit, das jüdische Erbe der Städte und deren Geschichte kennenzulernen.

Am letzten Tag sprach der Psychiater Aleksander Apel über das Thema Manipulation und wie man ihr widerstehen kann. Dieser Vortrag war nicht nur informativ, sondern auch praktisch relevant für die Teilnehmer, die sich bewusster über mögliche Manipulationsversuche wurden.

Abschließend wurden die Bundesfreiwilligen zu ihrer eigenen Tätigkeit befragt. Sie berichteten von ihren Erfahrungen und erklärten, wie sie sich durch das Seminar weiterentwickelt haben.

Wir möchten der Jüdischen Gemeinde Recklinghausen und ihrem Vorsitzenden Dr. Mark Gutkin herzlich dafür danken, dass sie uns die Möglichkeit gegeben haben, dieses Seminar in ihren Räumlichkeiten abzuhalten. Ihr herzlicher Empfang hat entscheidend zum Erfolg des Seminars beigetragen. Ebenso möchten wir uns bei der Sozialarbeiterin Jana Stachevski für ihre Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung des Seminars bedanken.

Ilya Rivin, ZWST e.V., Foto: Archiv der Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen

Das freudige Fest nimmt kein Ende

Die älteste aktive Gruppe der Kreisgemeinde Recklinghausen ist der gemischte Chor „Chag Sameach“ („Freudiges Fest“). Seit 23 Jahren ist dieser Chor das kreative Gesicht der Gemeinde, ja, ihr Markenzeichen. Der Name des Chores ist nicht zufällig ausgewählt, denn für dessen Mitglieder stellt jedes Treff en mit Musik, mit Gesang und mit Zuhörern ein echtes Freudenfest dar. Alles begann damit, dass im Frühjahr 2000 eines der Gemeindemitglieder – Evgeny Kuznetsov – an einem Seminar für Vertreter jüdischer Gemeinden teilnahm. Vom dortigen Chorgesang war er derart nachhaltig beeindruckt, dass er nach seiner Rückkehr die Idee hatte, einen Gemeindechor zu gründen. Nachdem er das Einverständnis des Vorstandsvorsitzenden Michael Schaiman eingeholt hatte, fand Kuznetsov bald Frau Diana Zabyelina, eine professionelle Musiklehrerin und ehemalige Leiterin eines Kinderchors aus Tschernihiw, welche sich freiwillig bereit erklärte, die Bildung einer Gesangsgruppe zu unterstützen. Innerhalb kurzer Zeit fanden sich mehrere freiwillige Teilnehmer und die erste Gruppe von zwölf Personen (darunter der Initiator selbst) begannen mit den Gesangsproben. Das mit Spannung erwartete Debüt des jungen Chores fand schließlich am 3. Juni 2001 statt. Damals interpretierten die Sänger-/innen zum ersten Mal den für Anfänger schwierigen Psalm 121 des jüdischen Komponisten Louis Lewandowski. Das aktuelle Repertoire des Chores umfasst mehr als 100 Musikwerke in 8 Sprachen. Dabei handelt es sich um Werke der jüdischen  Sakralmusik, jüdische Volkslieder auf Hebräisch und Jiddisch, auf Deutsch, Russisch, Ukrainisch, Italienisch, Französisch und Englisch, Werke der klassischen Musik. Von Jahr zu Jahr wächst die Virtuosität der Gruppe und ebenso wird das Niveau der  Chorkultur weiter optimiert.

„Chag Sameach“ nahm zweimal am Festival Jüdischer Chöre in Dortmund sowie am Festival der jüdisch-russisch-deutschen Kultur in Düsseldorf teil. Mit phantasievollen Veranstaltungen und starken Konzertideen besuchte der Chor die Gemeinden Dortmund,  Bochum, Wuppertal, Duisburg, Hagen, Mönchengladbach, Gelsenkirchen, Düsseldorf, wo er jedes Mal vom Publikum begeistert aufgenommen wurde.

Seit vielen Jahren pfl egt die Gruppe freundschaftliche Beziehungen zur Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, hat wiederholt an gemeinsamen Auftritten mit evangelischen Chören in Recklinghausen teilgenommen und präsentiert sich regelmäßig anlässlich des Abrahamsfestes der drei Religionen in Marl.
Als unvergesslich gilt ein gemeinsamer Auftritt mit dem Live-Sinfonieorchester der katholischen Gemeinde St. Franziskus in Bochum. Einmütig choreographierte man den sogenannten „Gefangenenchor“ aus der Oper „Nabucco“ von G. Verdi.
Die Mitglieder des Chores sind natürlich sehr unterschiedliche Menschen. Es verbindet sie aber das gemeinsame Singen als ein Mittel, um sich musikalisch zu entfalten und eben derart mit der Welt zu kommunizieren. Es vermittelt ein Gefühl der Gemeinschaft, schaff t eine Atmosphäre der Kreativität und Zugehörigkeit und bringt nicht zuletzt ein Meer von positiven Emotionen mit sich. Die Struktur des Chores ist multinational. Unter seinen zwanzig Mitgliedern befi nden sich nicht nur Juden, sondern auch Menschen verschiedener Nationalitäten aus vielen Republiken der ehemaligen Sowjetunion. Jeder Sänger und jede Sängerin leistet seinen/ihren hervorragenden, spürbaren Beitrag zur Palette der gemeinsamen Polyphonie. Sie alle lieben ihr Kollektiv und bleiben ihm über Jahre hinweg treu. Zum Beispiel Malvina Frenkman, eines der ältesten Mitglieder von „Chag Sameach“.
Unter den Chorsängern gibt es mehrere Ehepaare: Anatolij Froiman und Ludmyla Kaminska, Marat Dynkin und Rita Dynkina.
Dazu zählt auch die Familie der ständigen Chorleiterin Frau Zabyelina. Ihre Eltern Mara & Igor Frenkel sangen hier viele Jahre lang (bevor sie wegzogen), wie auch ihre Schwester Svitlana Bohdanova nach wie vor als Sängerin aktiv dabei ist. Vor Kurzem erst  wurde schließlich die Familientradition von Svitlanas Kindern Michael und Wladislaw Bohdanov fortgesetzt.
Allgemein sei noch erwähnt, dass die Gruppe in den letzten Jahren mental sozusagen einen zweiten Schub erhalten hat, ergänzt und aufgestellt mit neuen Kräften, guten jungen Stimmen. Dadurch konnte das Repertoire mit Blick auf einen weiter optimierten Klang um komplexere Werke moderner Komponisten hinsichtlich klassischer und geistlicher Musik erweitert werden.
Diana Zabyelina ist eine hochqualifi zierte Fachfrau, die seit dreiundzwanzig Jahren an der Spitze des Chores steht und Regie führt: als Chorleiterin und Musikerin, als Komponistin und Konzertmeisterin. Alle Musikstücke aus dem Repertoire des Chores werden  von ihr geschaff en, bearbeitet und arrangiert, wobei sie die Eigenheiten und Möglichkeiten der Chorsänger berücksichtigt. „Chag Sameach“ ist die Idee, für die sie ihre ganze Kraft und Seele einsetzt. Sie ist nicht nur für den kreativen Geist  verantwortlich, sondern auch für die freundliche Atmosphäre in der gesamten Gruppe.
„Ich danke dem Schicksal, dass ich einen Chor in meinem Leben habe, der mir die Freude gibt, mit der Musik und den Menschen, die mir im Geiste nahestehen, zu kommunizieren“, sagt die Frau Chormeisterin. Wir wünschen dem Chor „Chag Sameach“ und ganz persönlich Frau Zabyelina, dass sie das Publikum weiterhin mit neuen künstlerischen Erfolgen erfreuen können. Möge jedes „Freudiges Fest“ noch viele Jahre lang andauern!

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen, Foto: Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen