„Ich kann nicht vergessen“
Rolf Abrahamsohn (1.) ist Ehrenvorsitzender der jüdischen Gemeinde. Vorsitzender Mark Gutkin überreichte ihm gestern bei einer Feierstunde die Urkunde. Foto: Thomas Nowaczyk
Eine ungewollte Ehre für Rolf Abrahamsohn
WEST. (metz) Unzählige Male hat Rolf Abrahamsohn von seinem Überleben des Holocaust berichtet. „Vor und nach jedem Vortrag kann ich nächtelang nicht schlafen“, gesteht er. Trotztdem hört der 90-Jährige damit nicht auf. Gestern ernannte die jüdische Kiltusgemeinde ihn zum Ehrenvorsitzenden.
Zu dieser Ehre kann ich nur sagen, dass sie mir nicht zusteht“, betont der Marler in der voll besetzten Synagoge: „Alles, was ich getan habe, war den Toten gegenüber, und nicht, um Lorbeeren zu ernten“.
1942 wird Abrahamsohn mit 214 weiteren Recklinghäuser Juden nach Riga deportiert. Seine Familie wird ermordet. Er kommt in drei Konzentrationslager und nach einer Zwischenstation in einer Bochumer Munitionsfabrik ins KZ Theresienstadt. Dort befreit ihn die Rote Armee am 8. April 1945.
„Natürlich wollte ich nach dem Krieg raus aus Deutschland, aber die Engländer haben uns nicht nach Israel gelassen und die Amerikaner wollten uns auch nicht“, erzählt er. Rolf Abrahamsohn kehrt nach Marl zurück, baut die jüdische Gemeinde wieder mit auf und leitet sie von 1978 bis 1992. „Seit 70 Jahren möchte ich vergessen, was passiert ist, aber ich kann nicht“, gesteht er.
Vor einem knappen Jahr lernte Ich Rolf Abrahamsohn kurz vor seinem 90. Geburtstag kennen. Es war eine der bewegendsten Begegnungen in meiner Zeit als Journalist. Ich wunderte mich zunächst wie abgeklärt er über seine Zeit im Rigaer Getto, im KZ Buchenwald und in Theresienstadt sprach. Aber gerade diese Sachlichkeit gegenüber seinem eigenen Schicksal und das scheinbare Fehlen jeden Grolls, gepaart mit der Ahnung des Horrors, den Abrahamsohn durchlebt haben musste, ging mir ziemlich unter die Haut. Es ist eine Sache, über den Holocaust aus Geschichtsbüchern oder Fernsehsendungen zu erfahren. Einem betroffenen Zeitzeugen wie Rolf Abrahamsohn direkt gegenüberzustehen, ist ein anderes, intensiveres Erlebnis. Deshalb ist es wichtig, dass Leute wie er von der Vergangenheit erzählen, so lange sie leben.
von ALEXANDER SPIESS
Synagoge 3D Visualisierung
Designer Oleg Minich