Mai 1822: Reise-Reglement für jüdische Handwerksgesellen, hier: Inländischer, für ein Jahr gültiger Reisepass des Königreiches Preußen für den passpflichtigen 16 Jahre alten Silberschmied-Gesellen Jonas Jacob aus Dortmund zwecks ungehinderter Reise von Dortmund über Waltrop nach Recklinghausen und meldepflichtigem Aufenthalt ebendort.
Quelle: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen, Bestand II, Nr. 105: Acta Specialia betr. die Niederlaßung der Juden, Bl. 44 r-v, Verfasser: Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen.
Gebührenstempel über ein Sechstel Thaler 5 Groschen
[Großes Preußisches Staatswappen]
I.
[Königliche Preußische Staaten]
No. des Paß-Journals 37 Paßpflichtig.
Reise-Paß im Inlande
gültig auf ein Jahr.
Signalement |
Da der Silberarbeiter gesell |
des Paß-Inhaber |
Jonas Jacob |
1. Namen Jonas Jacob |
aus Dortmund |
2. Stand Silberarbeiter |
mit einem Tornister |
3. Vaterland Grafschaft Marck |
um in Condition zu treten |
4. Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes Dortmund |
über Waltrop |
5. Religion: jüdisch |
nach Recklinghausen |
6. Alter 16 Jahre |
reiset und durch persöhnliche bekandtschaft |
7. Größe der Person: 5 Fuß 1 Zoll |
als unverdächtig legitimirt ist, so ist demselben der gegen- |
8. Haare schwarz braun |
wärtige Paß auf ein Jahr ertheilt und |
9. Stirne flach |
werden alle Civil- und Militair-Behörden dienstergebenst |
10. Augenbrauen blond |
ersucht, denselben mit angeführter |
11. Augen grau |
Begleitung frei und ungehindert reisen und zurückreisen, auch |
12. Nase lang |
noethigenfalls ihren Schutz und Beistand angedeihen zu lassen. |
13. Mund dick |
Dieser Paß muss aber von der Polizei-Obrigkeit eines |
14. Zähne vollständig |
jeden Ortes, an welchem der Inhaber sich länger als Vier |
15. Bart — |
und zwanzig Stunden aufhält, ohne Unterschied zwischen Stadt |
16. Kinn spitz |
und Dorf visirt und ihr deshalb vorgezeigt werden. |
17. Gesicht lang |
Gegeben, Dortmund, d[en] 31t[en] May 1822. |
18. Gesichtsfarbe blaß |
der Bürg[er]m[ei]st[e]r |
19. Statur schlank |
Mallinckrodt |
20. Besondere Kennzeichen Sommersproßen |
[Siegelstempel der Stadt Dortmund] |
Unterschrift des Paß-Inhaber |
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Jonas Jacob |
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Stempel und Gebühren |
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1) Stempel … 5 gute Groschen |
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2) Gebühren … 2 ½ gute Groschen |
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Zusammen 7 ½ gute Groschen |
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Rückseite:
prod[uctum] Recklingh[ausen] 5. Juny 1822.
der Bürgermeister
J[oseph] Wulff
Nach 1815 modernisierten viele deutsche Staaten, darunter auch Preußen, nach französischem Vorbild ihr jeweiliges Reise-Reglement. Pässe waren nun nicht mehr nur punktuelle Empfehlungs- und Erlaubnisschreiben für legale Reisetätigkeiten, sondern entwickelten auch Ansätze zu einem persönlichen Existenznachweises des Pass-Inhabers. Regelmäßig tauchten dort auch sog. Signalements auf, d.h. eine stichwortartige Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes eines Menschen anhand seiner individuellen Identitätsmerkmalen.
Das Königreich Preußen publizierte am 22. Juni 1817 ein neues, „Allgemeines Pass-Edikt“, das Vorschriften über Ausweispflicht für Menschen enthielt, die auf Reisen sind. Das preußische Passwesen war nun vollständig im Sinne des Staates monopolisiert, Ausnahmen galten nur für Diplomaten, Politiker, Fürsten und andere hochrangige Funktionsträger. Eine Besonderheit bestand darin, dass es genauere Regelungen der Passpflicht nicht nur für den Grenzübertritt ins Ausland, sondern auch für inländische Reisen gab, das heißt für Fälle, in denen staatsangehörige Personen etwa von einer preußischen Provinz in die andere bzw. von einem Regierungsbezirk in den anderen wechselten – der preußische Staat strebte damit eine Aufsicht über die binnenländische Migration und das ‚Bewegungsprofil‘ von Angehörigen bestimmter sozialer Randgruppen an. Die Kontrollen und Überwachungen innerhalb des Landes waren mitunter strenger als an seinen Außengrenzen.
Spezielle Aufmerksamkeit galt demnach Teilen der Bevölkerung, die man mit einem häufigen Wohnsitzwechsel bzw. mit Nichtsesshaftigkeit in Verbindung brachte: dazu zählten – teilweise auch unerwünschte – Rand- und Sondergruppen, wie z.B. sog. Vagabunden, sog. Zigeuner, Heimatlose, Auswanderer, Wanderarbeiter, Studenten, arbeitsuchende, wandernde Handwerksgesellen, Hausierer, vielfach auch Juden in bestimmten zeittypischen Berufen wie Viehhändler o.ä. Eine berufsspezifische Ausnahmeregelung gab es daher spätestens seit den 1820er-Jahren, in Preußens schon seit 1817, für Handwerksgesellen, die in offiziellen ‚Wanderbüchern‘ die Wege, Etappen und wechselnden Aufenthaltsorte ihrer Handwerker-Lehrjahre zu dokumentieren und von zuständigen Stellen zu genehmigen hatten.
Im vorliegenden Fall hatte der Silberschmied-Geselle Jonas Jacob offenbar noch kein solches Wanderbuch vorzuweisen und erhielt stattdessen am 31. Mai 1822 vorschriftsmäßig von der Stadt Dortmund, die im Auftrag des Preußischen Staates auch als örtliche Pass- und Polizeibehörde auftrat, ein besiegeltes, gebührenpflichtiges, mit dem großen Preußischen Staatswappen versehenes und für ein Jahr gültiges Reise- und Legitimationsdokument, um seinen Aufenthaltsort regulär und zeitlich befristet von Dortmund nach Recklinghausen verlegen zu können. Am 5. Juni 1822 wurde dieser Pass dem Recklinghäuser Bürgermeister – hier ebenfalls als Personifikation der örtliche ‚Polizei-Obrigkeit’ auftretend – persönlich vorgelegt, wie im Sinne eines Visumvermerkes auf der Rückseite ausdrücklich protokolliert wurde.
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