1845, 31. Oktober – Kabinettsordre des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. betr. Annahme und Festschreibung vererblicher Familiennamen seitens der jüdischen Bevölkerung in bestimmten preußischen Landesteilen
Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1846, No. 36, S. 682. (Abb. aus dem Exemplar des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen, Signatur: J 90 (St.A.)), Verfasser: Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt- und Vestischen Archivs Recklinghausen.
Jahre nach der 1815/16 vollzogenen preußischen Annexion bestimmter ehemaliger Fürstentümer und untergegangener Territorien im Rheinland und in Westfalen entstanden in einigen Regionen Rechts- und Verwaltungsunsicherheiten über die Frage, ob Bestimmungen des Emanzipationsediktes von 1812 (siehe dort) ursprünglich, ausdrücklich und uneingeschränkt auch für die neu eingerichteten Provinz Westfalen mit ihren drei Regierungsbezirken, Arnsberg, Minden und Münster gelten. Insbesondere bei der in § 2 formulierten Norm, nach welcher die Juden nach Vorbild der christlichen Mehrheitsbevölkerung feststehende und vererbliche Familiennamen annehmen und diese amtlich dokumentieren lassen sollen, gab es Klärungs- und Nachholbedarf. Diese Vorschrift war nämlich insbesondere in den Kreisen Tecklenburg, Recklinghausen und Steinfurt noch nicht lückenlos und flächendeckend befolgt worden; hinzukam die Frage, ob das Vorkommen diverser jüdischer Familiennamen neueren Typs bereits überall ausdrücklich von den zuständigen preußischen Behörden genehmigt worden war.
Aus diesem Grunde kam es am 31. Oktober 1845 zu einer erneuten monarchischen Anweisung in dieser Angelegenheit, die das Ganze noch einmal verpflichtend machte. Diese Vorschrift, die im Range eines Gesetzes auftrat, setzte eine mit Bußgeld bewehrte Halbjahresfrist für ihre endgültige Umsetzung fest. Anders als in der Stadt Recklinghausen, wo schon seit den 1810er-Jahren die modernen Familiennamen Cosmann, Jacob und May etabliert waren, gab es im Kreis Recklinghausen resp. im Einzugsbereich der sieben Jahre später (1853) eingerichteten Synagogengemeinde Recklinghausen (d.h. in Wulfen, Datteln, Horneburg, Waltrop, Ahsen, besonders viele Fälle übrigens auch in Dorsten) noch immer einige ‚unerledigte‘ Altfälle. Diese waren weiterhin der Tradition der patronymischen Namensgebung gefolgt, indem sie dem Namen eines Kindes den Namen des Vaters als Beinamen hinzufügten. Diese Restbestände, die vornehmlich hebräische Namen aus dem Fundus des Tenach vorwiesen, sollten nun aber einer baldigen Lösung im Sinne der Kabinettsordre von 1846 zugeführt werden.
Wie hoch von Amts wegen die Bedeutung dieser Norm eingeschätzt wurde, ist auch einer neun Monate später, d.h. am 25. Juli 1846 erschienenen Sonderbeilege (“Extrablatt“) des Amtsblattes der Königlichen Regierung Münster zu entnehmen. Diese legte auf Anweisung des preußischen Innenministeriums vom 20. November 1845 eine vollständige und endgültige Liste mit den Namen der Haushaltsvorstände aller 536 jüdischen Familien im Regierungsbezirk Münster vor und dokumentierte dabei auch, welche Familiennamen als modernes bürgerliches Attribut nun für zulässig gehalten sowie irreversibel gewählt, gegebenenfalls behördlich noch einmal bestätigt und damit endgültig festgeschrieben werden sollten. Folge: Ab 1846 treten sämtliche jüdische Familien im Kreis Recklinghausen nur noch mit ihren individuell gewählten (und vom Regierungspräsidenten einzeln genehmigten) Nachnamen auf. Und als im Herbst 1853 die konstituierende Versammlung zur Bildung der Synagogengemeinde Recklinghausen zusammentrat, waren die neuen Familiennamen bereits ausnahmslos etabliert.
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