1960 – 1989

Normalität im Alltag

 

Die Gemeinde in den Jahren 1960 bis 1989

Zu Beginn der 1960er Jahre hatte sich die kleine Gemeinde etabliert. Nach zwanzig Jahren im Dienste der Gemeinschaft zwang eine schwere Erkrankung Minna Aron zur Amtsaufgabe bzw. Übergabe an Rolf Abrahamsohn, der die Gemeinde bis 1992 leitete. Rolf Abrahamsohn zögerte zunächst, doch Minna Aron wusste ihn zu überzeugen: „Rolf, den Toten gegenüber hast du dieselbe Verpflichtung, wie ich sie hatte.“
Die Kultusgemeinde blieb bis Anfang der 1990er Jahre sehr klein. Die Mitgliederzahl stagnierte zwischen 80 (1983) und 75 (1991). Sorgen bereitete die zunehmende Überalterung.
Die Mitglieder wohnten weit verteilt über das Gemeindegebiet. Religiöser Mittelpunkt war und blieb Recklinghausen. Das religiöse Leben beschränkte sich auf vierzehntägig stattfindendeGottesdienste sowie auf die Feste und Veranstaltungen im Gemeindezentrum. Bei größeren Veranstaltungen und hohen Feiertagen konnten durch die Vermittlung von Stadt, Kirchengemeinde und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit passende Räumlichkeiten
vermittelt werden.
Öffentliche Auftritte gab es selten, meist aus Anlass von Gedenkveranstaltungen, so am ersten Sonntag im November zur Erinnerung an die Deportation von 1942. Zum 40. Jahrestag der Pogromnacht von 1938 gab es eine Reihe von Gedenkgottesdiensten. Am ehemaligen Standort der Synagoge fand am 9. November 1978 eine Live-Sendung des WDR statt. Zu Gast in der Sendung „Hallo Ü-Wagen“ mit Carmen Thomas war Rolf Abrahamsohn, der erstmals öffentlich vom Angriff auf den Laden seiner Eltern und auf seinen Vater berichtete.
Am Ende der 1980er Jahre zeichneten sich deutliche Veränderungen ab. Mit der Öffnung der Grenzen in Osteuropa begann eine Ausreisewelle jüdischer Familien, von denen zunehmend mehr auch nach Deutschland kommen wollten. Die Struktur der Recklinghäuser Gemeinde sollte sich in den kommenden Jahren sehr verändern.

Ludwig de Vries                              Minna Aron                          Rolf Abrahamsohn
(1953 – 1958)                                   (1958 – 1978)                       (1978 – 1992)

Diese drei Vorsitzenden haben den Neuanfang und die Stabilisierung der Kultusgemeinde fast dreißig Jahre maßgeblich geprägt.

Am 9. November 1978 war der WDR mit seiner Sendung „Hallo Ü-Wagen“
mit der Moderatorin Carmen Thomas zu Gast in Recklinghausen. Es wurde
live vom Standort der in der NS-Zeit zerstörten Synagoge gesendet. Zum
40. Jahrestag dere Pogromnacht ging es um das Verhältnis von Juden und
Nichtjuden in Deutschland. Unter den Gesprächspartnern war auch Rolf
Abrahamsohn, als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde und als Zeitzeuge.

 

Rolf Abrahamsohn (Mitte sitzend), Carmen Thomas (rechts sitzend), Werner Schneider (links stehend)
Foto: Recklinghäuser Zeitung / Medienhaus Bauer

Bei einer Chanukkafeier zusammen mit der Gesellschaft für christlichjüdische
Zusammenarbeit im Petrushaus entzündet die Vorsitzende
Minna Aron die Kerzen, Rolf Abrahamsohn hält den Leuchter.

 

 

 

 

 

Die jüd. Gemeinde ab 1989

Dieses Jahr leitet einen Wandel im bisherigen Bestehen der jüd. Gemeinde „Bochum-Herne-Recklinghausen“ ein.

Frau Mina Aron, langjährige Vorsitzende der Gemeinde, war tot. Frau de Vries, Ehefrau des Begründers der neuen Gemeinde 1953, verstarb Ende 1988. Rolf Abrahamson stellte sich nicht mehr einer Neuwahl.

Es waren schon die Vorboten der politischen Umwälzungen zu spüren, die mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch der Sowjetunion einhergingen.

Die Juden dort lebten in einer vollkommen areligiösen Umgebung, die es ihnen unmöglich machte, öffentlich ihre Religion zu leben. Die Bundesregierung ermöglichte es diesen Juden, auch nach Deutschland zu kommen. So wurde Deutschland neben Israel ein bevorzugtes Einreiseland. In der jüd. Gemeinde fanden sich erst einzelne Familien ein, dann aber fand ein geordneter Zuzug über das Auffanglager Unna-Massen statt, der in die Städte, für die die jüd. Gemeinde zuständig war, verteilt wurde. Aktive und prompte Hilfe war in allen Kommunen vorhanden. Am Anfang wurden die jüd. Zuwanderer in einfachen Notwohnungen untergebracht, aber meist schon nach drei Monaten standen normale Wohnungen mit genügend Platz zur Verfügung. Bis 1990 hatte die jüd. Gemeinde ca. 80 Mitglieder. Trotzdem funktionierte das Gemeindeleben ganz gut. Es wurden regelmäßig Gottesdienste gehalten, die Feiertage wurden eingehalten, in der kleinen Synagoge im zweiten Stock war noch Platz für alle.

Veranstaltungen zu den religiösen Festen fanden in dem kleinen Saal im Erdgeschoss des Gemeindehauses statt – das ja in der Nazizeit nicht zerstört wurde und von der Stadt damals als Büroräume genutzt wurde – Kinderaufführungen zu Chanukka und Purim wurden einstudiert und präsentiert. Für größere Veranstaltungen wurden Räumlichkeiten von befreundeten christl. Gemeinden oder der Stadt, des Kreises zur Verfügung gestellt und dankbar angenommen.

So stellte sich das Leben der jüd. Gemeinde Bochum-Herne-Rcklinghausen Anfang der 90ger Jahre dar, einer Gemeinde, die von Hattingen über Bochum nach Haltern und von Waltrop, Castrop-Rauxel bis Herten und Dorsten reichte. Neue Mitglieder waren also hochwillkommen.

Auch wenn der Zuzug der neuen Mitglieder geordnet vor sich ging, war er doch für die kleine Gemeinde ungeheuer schwierig zu verkraften. Schon die Organisation für Behördengänge, Arztbesuche usw. war für die meisten Menschen nur mit Dolmetscher möglich, denn gut deutsch oder sich in Deutsch verständigen, konnten nur wenige. Einige Mitglieder konnten auf Jiddisch zurückgreifen, mit dem sie dann auch zurechtkamen, aber das waren meist ältere Menschen.

Als Frau Aron ihre im Erdgeschoss des Gemeindehauses gelegene Wohnung verließt, um im jüd. Seniorenheim in Düsseldorf zu leben, konnte die Gemeinde auf diese Räumlichkeiten zurückgreifen. Auch hatte das Gemeindehaus einen flachen Anbau nach Osten, der wohl schon vor dem Holocaust gewerblich genutzt wurde; auch in der Zeit, die hier beschrieben wird, war dieses Gebäude vermietet – bis zu der Zeit, als immer mehr Mitglieder kamen und der Anbau für Zusammenkünfte gebraucht wurde. Beim Neubau der Synagoge wurde der Anbau abgerissen.

In Bochum, als größte Stadt der jüd. Gemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen, war der Zuzug von Mitgliedern besonders groß. In den ersten Jahren trafen sich die Mitglieder in Recklinghausen zum Gottesdienst – Verwaltungsort war Recklinghausen ja sowieso – mit Beginn des Neubaues der Synagoge in Recklinghausen wurden alle Tätigkeiten nach Bochum verlegt.

Die Stadt Bochum stellte in der „Alten Wittener Straße“ Räumlichkeiten zur Verfügung, die umgestaltet und neu ausgerüstet mit einem größeren Saal, der als Synagoge und Festsaal dient; mit Büroräumen, mit Möglichkeiten für Seniorentreffen und für Jugendgruppen, mit einer neuen Küche, die es den Mitgliedern in Bochum ermöglichte, jüd. Leben zu pflegen.

Bis heute nutzt die inzwischen selbständige Gemeinde Bochum diese jetzt viel zu engen Räume.

Die Gemeinde hofft aber auf einen baldigen Neubau eines eigenen Gemeindezentrums.

Die Jahre von 1989 an bis zur Trennung der Gemeinden – Jahre des Umbruchs – stellten nicht nur organisatorisch nicht zu meisternde Ansprüche. Man versuchte, den Anforderungen mit immer neuen Vorständen und Gemeindevertretern zu begegnen; die jüd. Gemeinde kam nur noch als Negativnachricht in die Presse, nicht nur regional. Verdächtigungen, die nicht haltbar waren, gegenseitige Aberkennung der Positionen im Gemeinderat verunsicherten nicht nur die neuen Mitglieder. Diese Menschen, die ja aus nicht demokratischen Staaten kamen, sollten sich hier zu Angelegenheiten in Wahlen äußern, von denen sie nicht viel verstanden. Abgesehen davon, dass es für viele Zuwanderer die schwerste Hürde war, Deutsch zu verstehen und damit zu begreifen, worum es bei diesen internen Auseinandersetzungen ging.

Eine Einrichtung, die in kurzer Zeit von z.B. 15.02.1991 75 Mitglieder auf über 900 Mitte 1995 anwächst, ist schwer belastet, zumal weder Angestellte noch der Vorstand geschult für solche Aufgaben waren. Es gab und gibt immer noch Hilfeleistungen und Hilfestellungen vom Zentralen Wohlfahrtsverband in Frankfurt, vom Landesverband in Dortmund, aber die Arbeit musste vor Ort geleistet werden. Jeder Vorstand in dieser Zeit versucht auf seine Weise, damit fertig zu werden – es war nicht möglich. Diese Zustände führten dann 1995 dazu, dass die Gemeinde unter kommissarische Verwaltung des Landesverbandes gestellt wurde, die bis Sommer 1998 dauerte.

Aber auch in dieser Zeit wurde regelmäßig Gottesdienst gehalten, die religiösen Feste und Feiern begangen. Einen besonderen Höhepunkt bildete der Besuch des letzten Rabbiners von Recklinghausen, Dr. S. Auerbach s.A. mit seiner Frau im Februar 1993, ebenso der Besuch des Sohnes des letzten Lehrers in Recklinghausen, Jithro Jakobs, ebenfalls mit seiner Frau im Mai 1993.

Auch ein dramatisches Ereignis ist für den 15.11.1992 zu verzeichnen: der jüd. Friedhof wurde geschändet. Jochen Welt, damaliger 1. Bürgermeister der Stadt, griff selbst zu Bürste und Wasser, um die Schmierereien auf den Grabsteinen zu entfernen.

Auch ein besonderer Besuch aus Israel konnte gefeiert werden: Elio di Castro, damaliger Bürgermeister von Akko, der Partnerstadt von Recklinghausen, besuchte die Gemeinde im August 1992. Er wiederholte seinen Besuch anläßlich des Neubaus der Synagoge.

Die kommissarische Verwaltung endete im August 1998. Die Synagoge war eingeweiht, ein neuer Vorstand gewählt.

Die Bestrebungen der Bochumer Mitglieder, eine eigene Gemeinde zu haben, manifestierte sich immer konkreter. Die Mitgliederzahl war auf über 1.200 Personen gestiegen, davon ca. zwei Drittel in Bochum und Herne, zum anderen waren ja die Räumlichkeiten vorhanden.

Am 06.09.1998 wurde die Teilung in der Mitgliederversammlung beschlossen; eine Teilungskommission eingesetzt. Es mussten neue Satzungen ausgearbeitet werden, Wahlen für beide Gemeinden abgehalten werden. Es war viel Arbeit, aber am Ende standen zwei selbständige jüd. Gemeinden. Recklinghausen führt den Namen „Jüdische Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen“. Im zweiten Absatz der Satzung wird präzisiert: „ohne Stadt Gladbeck“. Damit wird der Gebietsaufteilung der jüd. Gemeinden nach dem Wiederbeginn nach der Shoa genüge getan.

Die Vorstellungen, mit denen die „alten“, d.h. hier ansässigen Mitglieder, deutsche, israelische, britische usw. Juden und die Juden aus den ehemaligen GUS-Staaten aufeinander trafen, waren von Anfang an verschieden: die Alteingesessenen freuten sich, endlich eine Bereicherung des Gemeindelebens, auch zahlenmäßig, zu erfahren. Viele der „Neuen“, ohne wirkliche Bindung an die jüd. Religion, sehen sich überfordert von den jüd. Gemeinden, zumal sie mit Arbeitsuche, Wohnungseinrichtung, vor allem Deutschlernen sich zugedeckt von Pflichten sehen. Die jüd. Gemeinden wiederum sehen diese Auffassung als nicht ehrenwerte Haltung, da diese Juden ihre Zugehörigkeit zum jüd. Volk als Anlass nahmen, um aus beengten politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu entkommen. Hier bot man ihnen die Möglichkeit, ihr Judentum endlich offen zu leben und es wurde nicht so genutzt wie man es sich in den Gemeinden dachte. Das war und ist ein Phänomen, das auf alle jüd. Gemeinden in Deutschland zutrifft, nicht nur Recklinghausen.

In Recklinghausen ist ein guter Teil der Mitglieder aktiv am jüd. Leben beteiligt. An besonderen Tagen kann schon mal die halbe Gemeinde anwesend sein.

Die Zuwanderung hat auch neue Mehrheitsverhältnisse geschaffen. Die Amtssprache ist Deutsch, aber in den Gremien der Gemeindeverwaltung muss oft den deutschen Teilnehmern übersetzt werden. Das sind Anpassungsschwierigkeiten, die mit großer Bereitwilligkeit abgebaut werden.

Die jüd. Gemeinde ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Die Mitglieder wählen alle vier Jahre aus Kandidaten sieben Mitglieder als Gemeindevertretung. Diese wählen wiederum den 1. Vorsitzenden, seinen Stellvertreter und den Vorsitzenden des Gemeinderates. Es gibt einen Finanzausschuss. Für den korrekten Gebrauch der Gelder sorgt die Rechnungskommission, in Recklinghausen zusätzlich ein außenstehender Steuerberater. Für etwaige Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde steht eine Schlichterkommission bereit. Für die Gemeinde arbeitet im Büro Frau Büttner, im Sozialbüro betreut Frau Stachevski die Mitglieder und Herr Czechowicz sorgt für einen reibungslosen Ablauf des Alltags der Gemeinde.

Religiös ist die jüd. Gemeinde Recklinghausen der sog. „Einheitsgemeinde“ zuzuordnen, d.h. alle Juden der verschiedenen Strömungen können sich hier zum Gebet versammeln.

Die Gottesdienste werden von einem Vorbeter geleitet; der zuständige Rabbiner ist der Landesrabbiner von Westfalen, z.Z. Dr. Henry G. Brandt, der die Gemeinde regelmäßig besucht und zuständig für alle religiösen Fragen ist. Ein „reisender“ Lehrer gibt einmal pro Woche Religionsunterricht.

Für einen eigenen Rabbiner reichen die Mittel im Augenblick noch nicht aus.

Im Übrigen sind die Gemeinden weitgehend selbständig.

Die jüd. Gemeinde konnte also auf ein geordnetes Gemeindeleben bauen.

Neben den normalen Festen des jüd. Jahres konnte eine große Hochzeit unter der Chuppa gefeiert werden, Barmitzwa und Batmitzwa fanden statt, immer im Beisein des Rabbiners, Herrn Dr. Brandt.

Im Jahreszyklus der Feiertage kam dann auch die Unterstützung einer guten Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für christl.-jüd. Zusammenarbeit zum Tragen: Für das Laubhüttenfest die Zelte für die Hütte, für die Chuppa den Baldachin, für den Gottesdienst Gebetbücher und für den größten Wunsch der Gemeinde eine großzügige Spende.

Um sich diesen Herzenswunsch zu erfüllen, wurde eine große Sammelaktion in der Gemeinde gestartet. Thorarollen sind der Stolz einer jeden Gemeinde. In ihr sind die fünf Bücher Moses, die Hauptquelle der jüd. Religion, in hebräischen Schriftzeichen, von Hand von kundigen Schreibern geschrieben. Entsprechend hoch ist ihr Preis. Die Thora, übersetzt die Lehre, ist unterteilt in Wochenabschnitten, dies sich in liturgischen Jahr wiederholen, sodass also in jedem Jahr die Thora einmal gelesen und den Gläubigen vorgetragen wird. Versehen mit einem „Mantel“ aus kostbarem Stoff, bekommt die Thorarolle eine Krone als Zeichen, dass die Thora die Krönung der Lehre ist. Ein Brustschild erinnert an das Schild, das der Hohepriester im Tempel trug, auf dem zwölf verschiedene Edelsteine die zwölf Stämme Israels symbolisierten. Ein Lesefinger aus Silber vervollständigt die Ausstattung der Thora. So ausgestattet sind die Thorarollen ein festlicher Blickpunkt, wenn der Thoraschrank zum Gottesdienst geöffnet wird. Die Sammelaktion der Gemeinde wurde unterstützt mit einem Konzert, mit der Spende der Gesellschaft für christl.-jüd. Zusammenarbeit – aber es hätte noch lange gedauert, bis man auf die nötige Summe gekommen wäre.

1934 musste die Familie Schaffer aus Recklinghausen fliehen. Sohn Emanuel war in Israel der frühere Trainer der Nationalmannschaft. Durch die Städtepartnerschaft Akko-Recklinghausen wurden wieder Kontakte geknüpft. Emanuel Schaffer machte es möglich, durch seine großzügige Spende, dass der Herzenswunsch, eine dritte Thorarolle zu besitzen, der jüd. Gemeinde in Erfüllung ging. Selbstverständlich trug Emanuel Schaffer die Thorarolle in der feierlichen Prozession, die von der jüd. Schule über den Westerholter Weg in die Synagoge führte. Er trug sie unter dem blauen Baldachin, unter der die Ehe gesegnet wird. Es folgten ca. 180 Menschen und wohnten der Zeremonie in der Synagoge bei. Der Chor der Gemeinde, bestehend durchgehend aus neuen Mitgliedern der ex-GUS-Staaten, sang bei dem Festakt.

Am Beispiel Thorarolle ist exemplarisch der Neuanfang der jüd. Gemeinde Recklinghausen nachzuvollziehen:

Zum ersten Mal nach der Shoa wurde eine Thorarolle wieder durch die Straßen getragen, das letzte Mal war der Umzug der Gemeinde aus der kleinen Synagoge in die Synagoge an der heutigen Limperstraße, 1924.

Von der „Alten Schule“ – die wieder der Gemeinde zur Verfügung steht – möglich gemacht durch das Interesse von Gemeindemitgliedern, aber auch der Stadt, die mit engagierten Bürgermeistern und Stadtdirektor ihre Verantwortung übernahmen, um einen Teil der Naziverbrechen gutzumachen.

Der Weg in die „Neue Synagoge“ – auch hier nur möglich Dank vieler Faktoren: der Zuzug neuer Mitglieder nach dem Zusammenbruch der Sowietdiktatur, die Aufnahmebereitschaft der Bundesregierung, die finanziellen Unterstützungen aller Beteiligten, nicht zu vergessen, viele private Spenden – besondere Verpflichtungen hatten die Kirchen übernommen – aber vor allem zählt das Vertrauen, dass jüdische Menschen in die Zukunft in Deutschland setzen. Johannes Rau sagte bei der Einweihung der Synagoge: „Wer ein Haus baut, der will bleiben.“

Eine großzügige Spende eines ehemaligen jüdischen Bürgers, der mit seinen Eltern fliehen musste, entwurzelt wurde, sorgt dafür, dass jüdische Menschen eben dort wieder leben und beten können. Dafür ist E. Schaffer zum Ehrenmitglied der jüd. Gemeinde ernannt worden.

Der Baldachin: eine Spende der Gesellschaft für christl.-jüd. Zusammenarbeit, ein Symbol für den Schutz des Allmächtigen, unter dem nicht nur die Thora an diesem Tage stand, sondern auch für das Zusammenleben für Juden und Christen.

Mit einer Thora kann man den Gottesdienst halten, mit zwei Rollen wird störendes Umrollen bei besonderen liturgischen Anlässen vermieden, die dritte Thorarolle zeigt, wie Harald Lewin in seiner Ansprache sagte “dass wir uns hier wohl fühlen“.

In der Zeremonie in der Synagoge sang der Chor der jüd. Gemeinde: ein Zeichen dafür, dass alte und neue Mitglieder nur zusammen eine neue lebendige Gemeinde gestalten können.

Bei dem Festakt waren viele nichtjüdische Gäste anwesend, voran die Vertreter der Stadt mit den Fraktionsvorsitzenden. Auch das eine lange, gute Tradition in Recklinghausen.

Juden wollen hier wohnen, ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland wieder finden. Wollen versuchen, wieder eine Einheit zu bilden mit der christlichen Umwelt. Das Mahnmal am Herzogswall zeigt es auffällig: eine Einheit, die Kugel, gespaltet durch die Shoa. Versucht man die beiden Hälften wieder zusammenzusetzen, stellt man fest, dass der Winkel nicht mehr stimmt!

Diesen Winkel immer mehr in den Idealzustand zu bringen, bedarf es ungeheurer Anstrengung. Der Anfang ist gemacht.

Quellennachweis: Gemeindearchiv