Zum Gedenken an die Juden, die im Ersten Weltkrieg umgekommen sind
Bei der Einweihung des restaurierten Obelisken zu Ehren der im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Juden.
Am 1. August 2023 fand auf dem jüdischen Friedhof Recklinghausen die feierliche Eröffnung nach der Restauration des Obelisken statt, welcher der Teilnahme deutscher Juden am Ersten Weltkrieg gewidmet ist.
Darauf sind die Namen der verstorbenen 13 Mitglieder der Recklinghäuser Gemeinde verewigt.
Der Obelisk verewigt die ungerechtfertigterweise vergessene Generation der loyalen jüdischen Bürger, Deutschlands Patrioten, die ihre Bürgerpflicht erfüllten. Das Denkmal wurde nur drei Jahre nach Kriegsende gebaut, im November 1921. Es war vom Architekten Bernhard Schwiters aus Recklinghausen geplant worden, darüber berichtete damals die Recklinghäuser Zeitung.
Im vergangenen Jahrhundert hat die zerstörerische Wirkung der Zeit dem Monument Schaden zugefügt. Es wurde brüchig, verfiel und die Inschriften verblassten. Eine Generalüberholung war nötig. „Tatsächlich sollte das Denkmal im Jahr 2021 wiederhergestellt werden, 100 Jahre nach seiner Erbauung. Doch die Coronavirus-Pandemie bremste das Projekt aus. Und so findet heute, am Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs, die Eröffnung des restaurierten Denkmals statt“, sagte der Vorsitzende der Gemeinde Mark Gutkin. Er hieß auch die Ehrengäste bei der Zeremonie willkommen. Die Ehre, das Denkmal zu eröffnen, wurde dem Ehrengast, dem Militärbundesrabbiner Zsolt Balla zuteil.
Der Davidstern und das Eiserne Kreuz auf dem Denkmal wird von 13 Namen verstorbener jüdischer Soldaten umrahmt. Dies ist kein Zufall. Im Judentum gibt es die alte Regel, die schon im Babylonischen Talmud (Talmud Bavli) festgehalten wurde: „Das Gesetz des Landes ist Gesetz für den Juden.“ Diesem Gesetz folgend gingen sie an die Front, um nicht nur ihr Vaterland zu verteidigen, sondern auch die Rechte ihrer Glaubensgenossen zu schützen. Der Gerechtigkeit halber möchte ich anmerken, dass die jüdischen Bürger der Länder, die gegen Deutschland kämpften, ebenso auf einer Welle des Patriotismus an die Front gingen und gegen ihre eigenen Glaubensbrüder kämpften. Etwa eine halbe Million „Deutsche des Glaubens Moses“, die weniger als ein Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachten, spielten eine wichtige Rolle im gesellschaftlich-politischen, ökonomischen, finanziellen, wissenschaftlichen und kulturellen Leben des Reiches. 100.000 Juden (jeder fünfte deutsche Jude) dienten 1914-1918 in der kaiserlichen Armee, 80.000 von ihnen kämpften an der Front. 10.000 deutsche Juden gingen freiwillig in die Armee. Deutsche
Juden waren nicht weniger deutsch-patriotisch als nichtjüdische Deutsche. Während des Ersten Weltkrieges wurden 35.000 deutsch-jüdische Kämpfer mit Orden und Medaillen ausgezeichnet, 18.000 von ihnen mit dem Eisernen Kreuz. An den Fronten des Ersten Weltkriegs starben 12.000 deutsche Soldaten und Offiziere jüdischen Glaubens für ihre deutsche Heimat und weitere 32.000 wurden schwer verwundet oder durch Gase vergiftet.
v.l.n.r.: Dr. Mark Gutkin, Vorsitzender der JKG Kreis Recklinghausen; Zsolt Balla, Militärbundesrabbiner
In Deutschland waren die jüdischen Veteranen des Ersten Weltkriegs im imperialen Bund jüdischer Frontkämpfer vereinigt, der 55.000 Mitglieder zählte. Der Bund wurde von Kapitän Leo Löwenstein angeführt, deutscher Chemiker und Physiker, Träger des Eisernen Kreuzes 1. Klasse.
v.l.n.r.: Dr. Mark Gutkin, Vorsitzender der JKG Kreis Recklinghausen; Zsolt Balla, Militärbundesrabbiner; Christoph Tesche, Bürgermeister der Stadt Recklinghausen
Doch dies hat ihnen nicht geholfen, schrecklichen antisemitischen Verfolgungen zu entgehen. Im Kampf gegen die Weimarer Republik nutzten die Nazis aktiv antisemitische Provokationen – unter anderem die Lüge, Juden wären im Ersten Weltkrieg hinter den Linien sitzen geblieben und hätten dem kaiserlichen Deutschland einen „Messerstoß in den Rücken“ verpasst.
Vor dem restaurierten Obelisken stehen Dr. Mark Gutkin, Rabbiner Zsolt Balla und Offiziere der Bundeswehr aus verschiedenen Truppengattungen.
Nach der Machtergreifung Hitlers wurden Juden Opfer des nationalsozialistischen staatlichen Antisemitismus, der in vielen Punkten auf den „Protokollen der Weisen von Zion“ basierte. Diese Fälschung gab Hitler laut den Worten des britischen Historikers Norman Cohn den „Segen für den Genozid“. Nach Deutschland wurden die „Protokolle“ Ende 1918 gebracht, von Fedor Winberg und Pjotr Schabelski-Bork, Mitglieder der russischen Schwarzen Hundertschaften. Alfred Rosenberg, Emigrant aus Russland, der zum Ideologen der Partei Hitlers wurde, brachte eine Massenpublikation der „Protokolle“ in deutscher Sprache heraus. Die „Protokolle“ wurden zu einem der Lieblingsbücher Hitlers: Er fasste den absurden Plan einer Verschwörung mit dem Ziel der Ergreifung der Weltherrschaft als Offenbarung auf und versuchte ihn in die Tat umzusetzen. Der Führer der Nazis nutzte genau die Methoden, welche die Autoren der „Protokolle“ den mythischen jüdischen Verschwörern zuschrieben.
Bereits im Jahr 1935 wurden die Juden entsprechend den Nürnberger Rassegesetzen ihrer Bürgerrechte beraubt. Das Judentum stellten die Nazis nicht an dem Glauben, sondern an der Abstammung fest. Nach der Kristallnacht – dem Pogrom gegen die Juden im November 1938, wurde der Bund jüdischer Frontkämpfer verboten. Vor dem Zweiten Weltkrieg verstärkte sich die Flucht der Juden aus Deutschland. Wer das nicht konnte oder es nicht mehr schaffte, zu emigrieren, wurde zum Opfer der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“. Und die jüdischen Veteranen des Ersten Weltkriegs waren davon nicht ausgeschlossen.
Nicht zufällig befindet sich neben dem Obelisken auf dem
jüdischen Friedhof ein Denkmal für die 215 Mitglieder der Gemeinde, die in der Zeit des Holocaust umgekommen sind, das ebenfalls restauriert wurde. Die Nähe der beiden Gedenkstätten ist eine Erinnerung und Mahnung an uns alle. Doch auch wenn die Welle des Antisemitismus im modernen Deutschland wächst, dienen heute 300 jüdische Soldaten ihrer Heimat in der Bundeswehr.
Der Erste Weltkrieg raubte mehr als neun Millionen Menschen das Leben und brachte Hunger, Zerstörung und menschliches Leiden mit sich. Die europäischen Großmächte waren in zwei militärisch-politische Blöcke eingeteilt: die Entente und der Dreibund. Es ist traurig, dass auf jeder Seite Juden einander bekämpften und töteten.
In den jüdischen Gemeinden erzählte man die wahre Legende aus den Zeiten des Ersten Weltkriegs: In einem tödlichen Nahkampf standen russische und deutsche Soldaten einander gegenüber. Der Russe erstach den Deutschen mit einem Bajonett. Plötzlich hörte er aus dem Mund des Sterbenden die Worte des Gebets „Shma Israel“. Dem russischen Soldaten wurde klar, dass er einen Glaubensbruder getötet hatte – beide Soldaten waren Juden.
Wie der Dichter Igor Guberman schrieb:
Die Juden kannten die beschämende Lage
unter dem Joch der Unterdrücker,
doch nach der Schmach einer Niederlage
überlebten sie die Sieger.
Irina Barsukova, Foto: Alexander Libkin